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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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höchstens vierzig Minuten dauern würde –, bis er gestand. Der Mann war ein Junkie namens Wayne (» Wayne «, sagte ich zu Cassie, als wir ihm eine Sprite holten und durch den Einwegspiegel zusahen, wie er an seinen Pickeln herumdrückte. »Wieso haben seine Eltern ihm nicht gleich bei der Geburt auf die Stirn tätowieren lassen: ›Keiner in meiner Familie hat je den Hauptschulabschluss geschafft‹?«) und er hatte den als Beardy Eddie bekannten Obdachlosen erschlagen, weil der ihm seine Decke geklaut hatte. Nachdem er sein Geständnis unterschrieben hatte, wollte Wayne wissen, ob er jetzt die Decke zurückhaben könne. Wir übergaben ihn den uniformierten Kollegen und sagten, die würden sich darum kümmern. Dann kauften wir eine Flasche Champagner, fuhren zu Cassie und unterhielten uns bis sechs Uhr morgens und kamen verlegen und noch immer leicht beschwipst zu spät zur Arbeit.
    Wir durchliefen die zu erwartende Phase, in der Quigley und ein paar von den anderen mich eine Zeit lang fragten, ob ich was mit ihr hätte und wenn ja, ob sie scharf wäre. Als sie endlich begriffen, dass ich nicht mit ihr schlief, spekulierten sie, sie sei wahrscheinlich lesbisch. Irgendwann hatte Cassie es satt und stellte die Dinge klar, indem sie zur Weihnachtsfeier in einem schwarzen, schulterfreien Cocktailkleid sowie in Begleitung eines bullig attraktiven Rugbyspielers namens Gerry erschien. In Wahrheit war er ihr Vetter zweiten Grades und glücklich verheiratet, aber er hatte Cassie gegenüber einen starken Beschützerinstinkt, und es machte ihm nichts aus, sie einen ganzen Abend lang anzuhimmeln, wenn das ihrer Karriere förderlich war.
    Danach verstummten die Gerüchte, und die Leute kümmerten sich nicht weiter um uns, was uns nur recht war. Genau wie ich ist Cassie kein besonders geselliger Mensch, auch wenn sie einen anderen Eindruck macht. Sie ist lebhaft und immer zu einem Scherz aufgelegt und kann mit jedem nett plaudern, aber wenn sie die Wahl hatte, war sie am liebsten mit mir allein zusammen. Ich übernachtete oft auf ihrem Sofa. Unsere Aufklärungsrate war gut und wurde immer besser. Irgendwann drohte O’Kelly nicht mehr damit, uns zu trennen, wenn wir mal mit dem Papierkram hinterherhingen. Wir waren im Gerichtssaal, als Wayne wegen Totschlags verurteilt wurde (»Ach, Scheiße , Mann«). Sam O’Neill zeichnete eine blöde kleine Karikatur von uns als Mulder und Scully (irgendwo hab ich die noch), und Cassie pappte sie an ihren Computer neben einen Aufkleber mit dem Spruch »Böser Bulle! Kein Leckerchen!«.
    Im Rückblick denke ich, dass Cassie für mich zum genau richtigen Zeitpunkt aufkreuzte. In meiner romantisch verklärten Vorstellung vom Morddezernat waren solche Dinge wie Quigley oder Klatsch und Tratsch oder endlose, unergiebige Vernehmungen von Junkies mit einem Sechs-Worte-Vokabular nicht vorgekommen. Ich hatte mir ein spannendes, intensives Leben erträumt, in dem alles Kleinliche und Lästige weggeätzt wurde von einer dermaßen elektrisch aufgeladenen Bereitschaft, dass förmlich Funken flogen, und die Wirklichkeit hatte mich verunsichert und enttäuscht wie ein Kind, das ein glitzerndes Weihnachtsgeschenk auspackt und bloß Wollsocken findet. Ohne Cassie wäre ich vielleicht so geworden wie dieser Detective bei Law and Order , der Magengeschwüre hat und hinter allem ein finsteres Ränkespiel der Regierung wittert.

2
    DEN FALL DEVLIN ERGATTERTEN WIR an einem Mittwochmorgen im August. Laut meinen Unterlagen war es 11.48 Uhr, daher waren alle anderen gerade Kaffee trinken. Cassie und ich spielten Worms auf meinem Computer.
    »Ha«, sagte Cassie, hetzte einen ihrer Würmer mit einem Baseballschläger auf meinen und klatschte ihn von einer Klippe. Auf dem Weg nach unten Richtung Ozean schrie mein Wurm mich an: »Du blödes Muttersöhnchen!«
    »Ich hab dich gewinnen lassen«, sagte ich.
    »Aber klar«, sagte Cassie. »Ein richtiger Mann könnte schließlich niemals von einem kleinen Mädchen besiegt werden. Das weiß sogar der Wurm: Nur ein minischwänziger, testosteronfreier Warmduscher könnte –«
    »Zum Glück bin ich mir meiner Männlichkeit so sicher, dass ich mich nicht mal ansatzweise bedroht fühle von deiner –«
    »Kscht«, sagte Cassie und drehte meinen Kopf Richtung Monitor. »Braver Junge. Sei still, schau hübsch aus und spiel mit deinem Wurm. Sonst tut’s ja keiner.«
    »Ich glaub, ich lass mich irgendwohin versetzen, wo es schön ruhig zugeht, zum Sondereinsatzkommando
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