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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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blies den Rauch in die Äste über uns. Es war ein typischer irischer Sommertag, aufreizend spröde, mit Sonne zwischen treibenden Wolken im böigen Wind und bereit, von einer Sekunde auf die andere in strömenden Regen oder sengende Hitze oder beides umzuschlagen.
    »Na los«, sagte ich. »Auf in den Kampf.« Cassie drückte die Zigarette an ihrer Schuhsohle aus, schob die Kippe zurück in die Packung, und wir überquerten die Straße.
    Ein Mann mittleren Alters in einem ausgefransten Pullover stand verloren zwischen den Containern herum. Als er uns erblickte, erhellte sich seine Miene.
    »Detectives«, sagte er. »Sie sind doch die Detectives, nicht? Dr. Hunt ... ich meine, Ian Hunt. Ausgrabungsleiter. Wo möchten Sie gern – also, im Büro oder bei der Leiche oder ...? Ich kenn mich da nicht aus. Wie so was abläuft.« Er gehörte zu den Menschen, die man automatisch als Witzfigur sieht: der sprichwörtliche zerstreute Professor.
    »Detective Maddox, und das ist Detective Ryan«, sagte Cassie. »Wäre es möglich, Dr. Hunt, dass einer Ihrer Mitarbeiter Detective Ryan einmal die gesamte Anlage zeigt, während Sie mich zu der Leiche bringen?«
    Du Miststück, dachte ich. Ich fühlte mich zittrig und benommen zugleich, als hätte ich einen kolossalen Kater und versucht, ihn mit zu viel Koffein zu bekämpfen. Die hellen Flecken von Glimmer in dem aufgewühlten Boden waren blendend grell, tückisch und fiebrig. Mir war nicht danach, beschützt zu werden. Aber eine der unausgesprochenen Regeln zwischen Cassie und mir lautet, dass wir uns in der Öffentlichkeit nicht widersprechen. Manchmal nutzt einer von uns das aus.
    »Äh ... ja«, sagte Hunt und blinzelte uns durch seine Brille an. Irgendwie machte er den Eindruck, als würde er ständig Sachen verlieren – linierte Blätter, zusammengeknüllte Taschentücher, halb ausgepackte Halspastillen –, und das, obwohl er gar nichts in der Hand hielt. »Ja, natürlich. Die sind alle ... Na ja, normalerweise machen Mark oder Damien die Führungen, aber Damien ist ja ... Mark!« Er rief das mit Blick auf die offene Tür eines Containers, und ich sah kurz etliche Leute, die um einen Tisch saßen: Armeejacken, Sandwiches und dampfende Tassen, Erdklumpen auf dem Boden. Einer von ihnen warf ein paar Spielkarten auf den Tisch und erhob sich schwerfällig von einem Plastikstuhl.
    »Ich hab allen gesagt, sie sollen drinbleiben«, erklärte Hunt. »Ich wusste nicht ... Beweise. Fußspuren und Fasern.«
    »Das war sehr gut, Dr. Hunt«, sagte Cassie. »Wir werden uns bemühen, den Tatort so schnell wie möglich zu räumen, damit Sie wieder an die Arbeit können.«
    »Uns bleiben nur noch ein paar Wochen«, sagte der Mann in der offenen Containertür. Er war klein und drahtig, und mit einem dicken Pullover hätte er fast kindlich zart gewirkt. Aber er trug ein T-Shirt, eine verdreckte Cargohose und schwere Stiefel, und unterhalb der Ärmel waren seine Muskeln kompakt und sehnig wie bei einem Federgewichtsboxer.
    »Dann führen Sie meinen Kollegen am besten sofort herum«, entgegnete Cassie.
    »Mark«, sagte Hunt. »Mark, der Detective möchte alles gezeigt bekommen. Das Übliche, du weißt schon, die ganze Ausgrabung.«
    Mark beäugte Cassie noch einen Moment, dann nickte er. Offenbar hatte sie irgendeinen Test bestanden. Dann konzentrierte er sich auf mich. Er war Mitte zwanzig, trug einen langen, blonden Pferdeschwanz und hatte ein schmales, verschlagen wirkendes Gesicht mit auffällig grünen, bohrenden Augen. Männer wie er – Männer, die sich anscheinend nur dafür interessieren, was sie von anderen halten, nicht, was andere von ihnen halten – haben mich schon immer verunsichert. Sie verfügen über eine allumfassende Sicherheit, die mir das Gefühl gibt, unfähig zu sein, affektiert, ohne Rückgrat, am falschen Ort in den falschen Klamotten.
    »Sie sollten sich Gummistiefel anziehen«, sagte er und bedachte meine Schuhe mit einem süffisanten Blick: Quod erat demonstrandum. »Wir haben noch welche im Geräteschuppen.«
    »Danke, es geht schon«, sagte ich. Mir war klar, dass es auf archäologischen Ausgrabungen wahrscheinlich tief verschlammte Gräben gab, aber ich würde mich keinesfalls zum Narren machen und mit meiner Anzugshose in die abgelegten Gummistiefel anderer Leute gestopft hinter diesem Burschen herstapfen. Ich wollte etwas – eine Tasse Tee, eine Zigarette, irgendetwas, das mir einen Vorwand lieferte, mich fünf Minuten ruhig hinzusetzen und zu
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