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Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
Autoren: Dia Reeves
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1

    Der Lkw-Fahrer ließ mich am falschen Ende der Straße raus. Ich fühlte mich auch irgendwie falsch, wie ich da in der Lamartine stand, in der meine Mutter wohnte. In den ersten sieben Jahren meines Lebens lebten wir nicht einmal auf demselben Kontinent, und jetzt war sie nur ein paar Häuser entfernt.
    Unwirklich.
    Warum hast du dich denn von dem Lkw-Fahrer nicht direkt vor ihrem Haus absetzen lassen? Poppas Stimme dröhnte mir durch den Kopf und klang genervt. Als wäre er derjenige, der sich allein durch die Dunkelheit schlagen müsste.
    »Ich muss mich an sie ranschleichen.« Ich flüsterte, weil ich die tiefe Mitternachtsstille nicht stören wollte. »Sonst explodiert mein Herz.«
    Welche Hausnummer hat sie?
    »1821«, antwortete ich und sah mir die Briefkästen an, die wie Burgen und Piratenschiffe aussahen. Die Hausnummern waren auf sie draufgemalt. Ich musste meine Stablampe aus dem Rucksack angeln, um die Nummern zu sehen. Hier gab es nur wenige Straßenlaternen, und am Himmel türmten sich tief hängende, rußschwarze Wolken, sodass kein Mondlicht durchkam.
    Portero lag in East Texas, gleich an der Spitze der Piney Woods. Ein Gewirr aus alten Kiefern und Eichen schlängelte sich durch die Stadt. Aber hier in der Lamartine hatte man die Bäume gezähmt, mit Zierzäunen umgeben und mit Reifenschaukeln behängt.
    »Hübsch hier, findest du nicht?«
    Verdächtig hübsch, sagte Poppa. Wo sind die Schlachthäuser? Wo ist das Öl, das dem Land aus jeder Pore sickert? Wo der Schwefel?
    »Übertreib nicht so, Poppa. So schlimm ist sie nicht. Kann sie nicht sein.«
    Nein? Sein bitterer Ton brachte mich jedes Mal aus der Fassung, wenn er von meiner Mutter sprach. Rosenstöcke und lustige Briefkästen rechtfertigen nicht ihre Haltung. Ich hätte mir nie vorgestellt, dass sie in so einem Ort wohnt. Das passt nicht zu ihr.
    »Vielleicht hat sie sich geändert.«
    Ha!
    »Dann sorge ich dafür, dass sie sich ändert«, sagte ich, als ich gerade an einem Briefkasten vorbeiging, der wie ein Huhn aussah. 1817.
    Wie war ich nur so nah rangekommen?
    Ein paar Schritte weiter war ich mehr als nah. Ich war da. 1821.
    Das Haus meiner Mutter kauerte in der Mitte einer großen Rasenfläche. Keines der anderen Häuser schmiegte sich auf plumpvertrauliche Art an das meiner Mutter. Sogar die Garage stand frei. Ein einzelner Baum schmückte ihren Rasen. Ein Amberbaum, kahl und hässlich – ganz anders als die würdevoll gewachsenen, Schatten spendenden Bäume der Nachbarn. Ihr Briefkasten war funktional, und der Zaun, der ihr Grundstück umgab, war kinnhoch und unfreundlich.
    Ah, stellte Poppa zufrieden fest. Das kommt schon eher hin.
    Ich ignorierte ihn und schlich durch die unfreundliche Pforte, dann die Stufen zur Veranda rauf. Die Fliegentür war nicht verschlossen – sie hatte nicht einmal ein Schloss. Also betrat ich die schwarze Veranda und setzte mich in den kleinen Gartenstuhl, der links neben der Haustür stand. Ich saß dort eine ganze Weile und atmete tief durch. Ich saß und atmete, atmete und saß …
    Nicht trödeln, Hanna.
    Meine Hände verkrampften sich über meinem Bauch, in dem ein Schmetterlingsschwarm Krieg führte. Ich starrte auf die dunkle Haustür und verzehrte mich nach dem, was mich auf der anderen Seite erwartete.
    »Glaubst du, sie freut sich, mich zu sehen?«, fragte ich Poppa. »So ein ganz kleines bisschen?«
    Nicht, wenn du mit dieser Einstellung da reingehst. Zeig Rückgrat!
    »Und was, wenn sie mir nicht glaubt, dass ich ihre Tochter bin?«
    Du siehst ihr zum Verwechseln ähnlich. Wie oft hab ich dir das gesagt? Jetzt stell dich nicht so albern an, geh rein und sag, wer du bist.
    Poppa wusste immer, wie man bei mir am besten wieder das Gehirn einschaltete. »Du hast recht. Ich stell mich albern an.« Ich strich mein Kleid glatt, schulterte meinen Rucksack und hob die Faust, um zu …
    NEIN . Mein Gehirn brummte von der Wucht des Wortes. Nicht klopfen. Es ist nach Mitternacht. Du weckst sie auf. Und sie wacht sehr schwer auf.
    »Wie schwer?«, flüsterte ich und hielt mir den brummenden Schädel.
    So schwer wie du.
    O-oh.
    Neun von zehn Mal wachte ich ganz von selbst auf und brauchte nicht einmal einen Wecker, aber wenn man mich weckte, bevor ich so weit war, konnte es … interessant werden. Und offenbar hatte ich das von meiner Mutter geerbt.
    Cool.
    Geh einfach rein, riet mir Poppa mit felsenfester Überzeugung. Das ist sowieso praktisch dein Haus.
    Ich kniete mich auf den Verandaboden. Das Holz
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