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Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
Autoren: Dia Reeves
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Instinkte werden sich schon rühren.«
    Nach sechzehn Jahren? Ich glaube, ihre Instinkte haben sich schon vor langer Zeit verabschiedet.
    »Hör doch mal auf, alles so schwarz zu sehen, Poppa.«
    Ich schob mein Lager näher an das Regal, damit Schwänin mich besser bewachen konnte. Dann warf ich das Handtuch weg, legte mich nackt auf den Stapel und zog mir die kalte, oberste Decke bis zum Kinn. »Ich werde sie schon rumkriegen. Ich weiß es.«
    Und was, wenn nicht?
    Ich gähnte. »Wenn nicht, dann werde ich die Wände ihres Hauses mit meinem Blut streichen.« Ein Donnerschlag grollte durch die Nacht und ließ den Boden unter mir erzittern.
    »Ganz egal, was auch passiert. So oder so, ich bleibe hier.«

3

    Ich wachte vom Donner auf.
    Der schwere Regen prasselte gegen das Fenster und warf dunkle, sich schlängelnde Schatten gegen die Dachschräge. Das Prasseln hallte in dem zwielichtigen Dachboden wider. Ich fühlte mich klein und zerbrechlich wie ein Spitzenhandschuh, den man beim Umzug vergessen hatte – einsam und ohne Freunde.
    Ich zitterte auf meinem Deckenlager und wartete darauf, dass mir Poppa etwas zuflüsterte. Dann würde ich wissen, dass ich nicht allein war. Aber ich hatte ihn ruhiggestellt. Verrückt oder gesund. Poppa oder einsam. Jeden Tag musste ich diese schweren Entscheidungen treffen.
    Verfluchte manische Depressionen.
    Ich schlurfte ins Badezimmer, und nachdem ich den Anhalterdreck von gestern von mir abgespült hatte, war die Entscheidung für den Tag getroffen.
    Gesund.
    Ich nahm meine Pillen und zog das lavendelfarbene Kleid mit der Lochstickerei an, das ich mir genäht hatte, kurz bevor Poppa gestorben war, eine ganze Weile, bevor ich meine Alles-Violett-Phase hatte. Wie jedes Kleid, das ich mir selbst nähte, hatte es Wiener Nähte, die meine Kurven betonten, ein hohes Mieder und einen knielangen Rock. Und da es eines meiner liebsten Hobbys war, die Jungs in den Wahnsinn zu treiben, hatte dieses Kleid vorne eine Leiste mit winzigen, edelsteinbesetzten Knöpfen, die schon so einigen ungeschickten Romeos den Wind aus den Segeln genommen hatte.
    Ich stand am Fenster und sah dem Regen dabei zu, wie er versuchte, die Welt zu ertränken. Rosalee und ich könnten uns trotzdem kennenlernen, aber wir würden den ganzen Tag im Haus bleiben müssen. Ich könnte sie sicher überreden, heute nicht zur Arbeit zu gehen. Warum sollte sie das auch wollen? Sie könnte ihren Chef bitten, ihr rückwirkend Erziehungsurlaub zu geben oder so was.
    Sie würde mich bestimmt nicht hier alleine zurücklassen wollen und sich dann den ganzen Tag fragen müssen, ob ich vielleicht gerade ihr Haus demolierte.
    Ich ging nach unten in die Küche. In der Stille des Hauses war mein knurrender Magen so laut wie ein Motor. Dann sah ich Rosalee. Sie war über den Esstisch gebeugt und kritzelte etwas auf ein gelbes Blatt Papier. Als ich hereinkam, hob sie den Kopf.
    Selbst in dem regengetrübten Licht, selbst in ihrem ausgebeulten roten Nachthemd sah sie noch wunderschön aus, und ich war nah genug, um den Duft von Dove, der noch auf ihrer Haut lag, zu riechen. Komisch, da kannte ich nun so ein intimes Detail wie die Seife, die sie benutzte, nachdem ich jahrelang keinen blassen Schimmer von ihr gehabt hatte.
    Eine Glasschüssel mit Früchten, hauptsächlich Äpfel und Bananen, stand auf der Küchentheke, die den Kochbereich von dem Essbereich trennte. Ein leichter zitroniger Geruch von einem Reinigungsmittel hing in der Luft.
    Als ich mir eine Banane nahm, sagte sie: »Geh und hol deinen Rucksack.«
    »Warum?«
    Sie kritzelte weiter herum. »Mach einfach.«
    Widerwillig holte ich meinen leeren Rucksack und ging zurück in die Küche.
    Der Schlüssel an Rosalees Armband klirrte, als sie mir das Notizblatt gab. »Nimm.«
    Ich nahm es.
    Rosalee hatte mir die Wegbeschreibung zur Portero Highschool aufgeschrieben. Sie hatte sogar einen Karte gezeichnet. Ich sah sie fassungslos an. »Du willst, dass ich zur Schule gehe?«
    »Du hast nur zwei Wochen, um dich einzugewöhnen. In der Schule geht das am leichtesten. Gib mir deine Tasche.«
    Ich gab sie ihr, während mich ein leichter Erster-Schultag-Schauer überfiel. Ein absurdes Gefühl so spät im September. Der Regen hatte vorhin noch so gemütlich gewirkt, aber jetzt, da ich raus musste …
    Zweifelnd inspizierte ich die Karte. Dann sah ich nach den gewaltigen Wassermassen, die so hübsch von dem Panoramafenster eingerahmt wurden, wie sie die Straße entlang rauschten. Und ich konnte
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