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Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
Autoren: Dia Reeves
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er verrückt geworden?«
    »Er ist gestorben. Letztes Jahr.«
    Sie ließ ihr Haar nach vorne fallen. Sie versteckte sich vor mir, sodass ich nicht sehen konnte, ob sie Schmerz oder Trauer empfand.
    Nach einer Weile stolzierte Rosalee an mir vorbei und stellte sich ans Panoramafenster. »Wenn er letztes Jahr gestorben ist«, sagte sie, »warum kommst du dann jetzt? Woher wusstest du überhaupt, wo ich bin?«
    Ich saß auf dem roten Stuhl und bibberte gewaltig in meinem violetten Kleid. »Ich habe eine Postkarte von Poppas Schreibtisch geklaut, als ich sieben war. Einen Monat, bevor wir in die Staaten gezogen sind.« Ich wühlte in meinem Rucksack nach der Postkarte. Sie war weich und nach all den Jahren vergilbt. Auf einer Seite war ein Bild vom Fountain Square irgendwo hier in Portero. Auf der anderen Seite stand meine alte Adresse in Helsinki, und im Textfeld der Karte stand einzig das Wort »Nein«.
    Ich zeigte sie ihr. »Zu was hast du Nein gesagt?«
    Rosalee sah kurz auf die Karte, nahm sie aber nicht. Sie wandte dem düsteren Himmel den Rücken zu und lehnte sich ans Fenster. »Ich weiß nicht mehr, was er mich gefragt hat. Heirate mich, besuch uns, liebe uns. Vielleicht hat er auch alles gefragt. Und ich sagte Nein zu allem.«
    Ich steckte die Postkarte weg. »Als Poppa und ich nach Dallas gezogen sind, bin ich als Erstes in die Bücherei gegangen und habe dich im Telefonbuch von Portero gesucht.«
    Damals war ich total aus dem Häuschen, als ich ihren Namen schwarz auf weiß vor mir sah. Rosalee Price, eine echte, lebende Person – nicht nur eine Legende, die Poppa sich ausgedacht hatte, um mich zu beruhigen, wenn ich mal wieder fragte, warum andere Kinder eine Mutter hatten und ich nicht.
    »Ich lernte deine Adresse und Telefonnummer auswendig. Acht Jahre lang hab ich sie jeden Abend wie ein Schlaflied im Bett wiederholt. Aber ich hab nie versucht, Kontakt zu dir aufzunehmen. Poppa hat mich gewarnt, was ich zu erwarten hätte, wenn ich es versuchte. Deshalb bin ich einfach hier vor deiner Tür aufgetaucht. Ich wollte nicht, dass du wieder einfach Nein sagst.«
    Sie sah mich an, starr wie ein Reptil. Was ich gesagt hatte, schien sie nicht zu berühren. »Bei wem wohnst du, seit er tot ist?«
    »Bei seiner Schwester. Meiner Tante Ulla.«
    »Weiß sie, dass du hier bist?«
    »Wir haben sogar die gleichen Füße.«
    »Was?«
    Ich zog meine violetten High Heels aus und zeigte ihr meine dünnen Füße. Die langen Zehen und die hohe Wölbung. Genau wie bei ihr.
    »Ich hab dich gefragt, was mit deiner Tante ist«, sagte Rosalee, noch immer ungerührt.
    Ich bewunderte den Anblick unserer nackten Füße, wie sie so nah beieinander standen und sich golden von dem eisigen Glanz der Küchenfliesen abhoben.
    »Ich wusste nicht mal, dass ich aussehe wie du. Ich habe es mir aber gedacht. Poppa sagte es mir. Ich wusste, dass ich nicht wie die anderen aus Poppas Familie aussah. Sie sind alle groß und blond und weiß wie Schneefüchse. Und dann komme ich, relativ groß und brünett und braun wie Rohrzucker. Genau wie du. Meine Oma Annikki sagte immer, wenn ich nicht mit grauen Augen geboren wäre, dann könnte man nicht sicher sein, dass ich wirklich zu ihnen gehörte. Und ich gehöre zu ihnen, aber ich gehöre auch zu dir. Ich will alles über dich wissen.«
    Diese Sonnenschein-Nummer zieht bei ihr nicht, warnte mich Poppa.
    Aber sie zog doch . Während ich sprach, ruhte Rosalees Blick auf mir. Ihr unentwegtes Interesse war erschreckend und willkommen zugleich, gemessen an ihrer feindlichen Haltung.
    »Poppa hat mir einiges erzählt. Er erzählte mir immer, wie schön du wärst, aber im gleichen Atemzug verfluchte er dich und sagte, du wärst innerlich tot. So hab ich mir dich immer vorgestellt – wie ein untotes Aschenputtel: Es ist zwar ganz grün und sieht aus wie eine Leiche, aber es trägt ein Ballkleid. Hattest du jemals ein Ballkleid? Ich könnte dir eins nähen. Ich nähe alle meine Kleider selbst. Dieses Kleid habe ich auch gemacht. Ist es nicht süß?« Ich stellte mich so, dass sie es bewundern konnte. »Ich fühle mich immer wie Alice, wenn ich es trage. Damit wäre das hier das Wunderland, richtig? Und du bist das weiße Kaninchen – man kann es nie greifen.«
    »Warum ist Blut auf deinem Kleid?«
    Jetzt verstand ich den forschenden Blick, der auf mir ruhte. Sie hatte sich gar nicht für mich interessiert, sondern für den Blutfleck. Ich folgte ihrem Blick zu den zwei dunklen Flecken auf meiner Hüfte.
    Der
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