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Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
Autoren: Dia Reeves
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zu meinem Stuhl. Rosalee musste sich den Hörer vom Ohr halten.
    Als das Gebrüll nachließ, sagte Rosalee: » Wie viele Stiche? Ach. Das tut mir aber leid. Wieso, was soll ich denn machen? In Flammen aufgehen? Ich sagte doch gerade, dass es mir leid tut.«
    Das Geschrei wurde noch lauter und wütender.
    »Schrei mich nicht an. Schrei deine Nichte an, wenn du sie hier abholst. Na ja, du wirst sie wohl wiedersehen müssen . Sie gehört zu deiner Familie. Komm mir nicht mit diesem Tochterquatsch! Ich habe sie noch nie in meinem Leben gesehen!« Pause. »Was? Man hat was diagnostiziert?«
    Panisch warf ich mir meine Tasche über die Schulter und huschte aus der Küche. Wie konnte ich hier bloß rumsitzen und so tun, als sei die Schlacht längst gewonnen? Sie wusste jetzt alles über mich. Tante Ulla erzählte ihr gerade haarklein von all meinen Missetaten des letzten Jahres, den Vorfall von heute Morgen nicht ausgenommen. Rosalee würde mich jetzt noch schneller loswerden wollen als zuvor. Ich musste mich beeilen und einen Platz für mich suchen, bevor Rosalee das Gespräch beendet hatte.
    An der Wand fand ich einen Lichtschalter für das Wohnzimmer. Ein Sessel und ein Schemel, aber keine Schlafcouch, kein Ausziehsofa. Überhaupt kein Sofa, Punkt. Den Flur runter zur Linken waren ein Badezimmer, ein Wäscheschrank, ein Büro so groß wie ein Schrank und schließlich Rosalees Schlafzimmer, in dem ein Einzelbett stand.
    Besorgt ging ich zurück ins Wohnzimmer. Ein Stuhl in der Küche, ein Sessel im Wohnzimmer, ein Bett im Schlafzimmer. Rosalee hatte nicht nur keinen Platz für mich in ihrem Leben, Rosalee hatte für niemanden Platz in ihrem Leben.
    Gegenüber der Eingangstür war eine Treppe. Ich ging hoch und erwartete noch mehr von dieser ungeselligen Einrichtung. Als ich jedoch die Tür am oberen Ende der Treppe öffnete, fand ich einen großen, leeren Dachboden, der die Form der oberen Hälfte eines Stoppschildes hatte. Die Wände waren weiß, und auf dem Boden lag derselbe helle Holzboden wie unten. Ein großes Fenster mit Messinggriffen an den Fensterflügeln blickte auf die dunkle, schlafende Straße.
    Dieser Raum war so gut geschnitten. Er hatte so viel Potenzial. Es gab sogar ein eigenes Bad mit einer Dusche, einem Waschbecken und einer Toilette, alles blütenweiß. Ich glaubte nicht, dass es jemals benutzt worden war.
    Ein Gästezimmer. Leer, weil Rosalee ganz offensichtlich keine Gäste wollte. Wie gut, dass ich kein Gast war.
    Ich war Verwandtschaft.
    Ich stellte meine Tasche auf den Boden und fing an, sie auszupacken: sieben lila Kleider, lila Unterwäsche, meine lila Handtasche, eine große Holzschwänin, die Poppa für mich geschnitzt hatte, und mein Handy. Da es keinen Schrank gab, legte ich alles in die Einbauregale an der Wand gegenüber der Tür. Auch meine Pillen legte ich dazu, die fast das gesamte obere Regal einnahmen. Mein Waschzeug räumte ich in das Medizinschränkchen. Und das war’s dann auch schon.
    Ich war zu Hause.
    Wir sind beide zu Hause, pflichtete Poppa mir zufrieden bei. Er hatte schon viel länger auf ein Wiedersehen mit Rosalee gewartet als ich.
    Ich ging nach unten und wartete ein wenig vor der Küchentür. Als ich nichts außer Rosalees gelegentlichem Gemurmel hörte, ging ich weiter den Flur entlang zu dem Wäscheschrank und suchte mir ein paar dicke Wolldecken und ein lila Badetuch heraus.
    Das Lila nahm ich als Omen – als gutes Omen.
    Ich hatte keine Nachthemden eingepackt, deshalb wickelte ich mich in eine Decke, nachdem ich mich ausgezogen hatte, und kämmte mein Haar, was zur lästigen Routine gehörte. Inselmädchen-Haar mochte es nicht, wenn man es kämmte.
    »Was machst du da?«
    Rosalee stand in der Tür zum Dachboden und starrte auf meine Sachen in den Regalen und ihre Decken auf dem Boden.
    Sie starrte voller Entsetzen.
    Ich wickelte den Kamm aus meinem Haar und kniete mich neben die Decken. »Ich richte mich ein.«
    »Einen Dreck wirst du! Du kannst hier nicht bleiben!«
    Tante Ulla hatte sie mit ihrem giftigen Gerede also komplett gegen mich eingenommen.
    »Doch, kann ich.« Ich breitete die Decken aus und legte sie übereinander. »Was du eigentlich meinst, ist, dass du mich hier nicht willst.«
    »Ganz genau! Ich will dich nicht!«
    Ich sang: »You can’t always get what you want.«
    Rosalee starrte mich an, als hätte sie so etwas wie mich noch nie zuvor gesehen. »Fragst du eigentlich auch mal, wie es deiner Tante geht? Das wäre ja wohl das Mindeste, nach
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