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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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ist. Die wenigen Menschen, die von der Knocknaree-Sache wissen, schlagen mir irgendwann unweigerlich vor, ich sollte es mal mit einer Rückführung unter Hypnose versuchen, aber die Vorstellung stößt mich ab. Ich stehe allem, was auch nur einen leichten Esoterikgeschmack hat, argwöhnisch gegenüber, und zwar wegen der Leute, die so etwas machen. Irgendwie scheinen sie alle zu der Sorte Menschen zu gehören, die einem auf Partys die Ohren damit vollquatschen, wie sie entdeckt haben, dass sie Überlebende sind und das Recht haben, glücklich zu sein. Ich fürchte, ich könnte nach der Hypnose mit dieser Glasur aus selbstzufriedener Erleuchtung aufwachen, wie ein Siebzehnjähriger, der gerade Kerouac entdeckt hat und anfängt, Fremde in Kneipen zu bekehren.
    Das Ausgrabungsgelände war ein großes Feld an einem flachen Hang. Es war bis aufs nackte Erdreich aufgerissen und von archäologischen Spuren durchzogen – Gräben, riesenhaften Ameisenhaufen aus Erde, etlichen Containern, verstreuten Überresten unbehauener Steinmauern, wie die Fundamente eines verrückten Irrgartens –, sodass es surreal wirkte, wie nach einem Atomkrieg. Auf einer Seite wurde es von einem dichten Baumbestand begrenzt, auf der anderen von einer Mauer, über die akkurate Hausgiebel lugten und die von den Bäumen bis zur Straße verlief. Ziemlich weit oben an dem Hang und in Nähe der Mauer drängten sich die Kriminaltechniker hinter blauweißem Polizeiabsperrband. Wahrscheinlich kannte ich jeden Einzelnen von ihnen, doch die Situation transformierte sie – weiße Overalls, emsige behandschuhte Hände, namenlose empfindliche Instrumente – in etwas Fremdartiges, Bedrohliches, irgendwie CIA-Ähnliches. Die wenigen erkennbaren Dinge wirkten so solide und beruhigend wie aus einem Bilderbuch: direkt an der Straße ein niedriges, weiß getünchtes Cottage, vor dem ausgestreckt ein schwarz-weißer Hütehund lag. Ein steinerner Turm, von Efeu umrankt, dessen Blätter im schwachen Wind bebten. Licht flirrte auf der Oberfläche eines dunklen Flusses, der eine Ecke des Feldes durchschnitt.
    – Turnschuhfersen in die Ufererde eingesackt, Laubschatten fleckig auf einem roten T-Shirt, Angeln aus Ästen und Kordel, Schläge nach Mücken. Leise! Du verscheuchst die Fische! –
    Hier, auf diesem Feld, war vor zwanzig Jahren der Wald gewesen. Nur der Baumstreifen war noch davon übrig. Ich hatte in einem der Häuser hinter der Mauer gewohnt.
    Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich schaue selten irische Nachrichten. Die bringen ohnehin nur das ewig gleiche Gewäsch von den ewig gleichen Politikern, die mit Augen wie Soziopathen sinnloses statisches Rauschen von sich geben, wie das unverständliche Gebrabbel, wenn man eine 33er-LP mit 45 Umdrehungen abspielt. Ich halte mich an ausländische Nachrichtensendungen, bei denen mir der räumliche Abstand zumindest die tröstliche Illusion verschafft, dass es zwischen den diversen Akteuren doch noch gewisse Unterschiede gibt. Ich hatte vage mitbekommen, dass irgendwo bei Knocknaree Ausgrabungen stattfanden und dass diese umstritten waren, aber weder die näheren Einzelheiten noch der genaue Ausgrabungsort waren in mein Bewusstsein gedrungen.
    Ich hielt auf einem Parkplatz gegenüber den Containern, zwischen dem Van der Spurenermittlung und dem dicken schwarzen Mercedes von Cooper, unserem Gerichtsmediziner. Wir stiegen aus, und ich überprüfte kurz meine Waffe: sauber, geladen, gesichert. Ich trage ein Schulterhalfter; alles andere kommt mir plump vor, zu exhibitionistisch. Cassie dagegen sagt, plump oder nicht, wenn du einen Meter fünfundsechzig bist und jung und eine Frau, ist ein bisschen offenkundige Autorität nicht zu verachten, deshalb trägt sie einen Gürtel. Die Diskrepanz tut uns oft gute Dienste: Die Leute wissen nicht, wer beängstigender ist, die zierliche Frau mit der dicken Pistole oder der offenbar unbewaffnete Bursche, und solange sie darüber nachdenken, sind sie abgelenkt.
    Cassie lehnte sich gegen den Wagen und fischte ihre Zigaretten aus der Tasche. »Auch eine?«
    »Nein, danke«, sagte ich. Ich kontrollierte mein Halfter, zog die Gurte straff, vergewisserte mich, dass keiner verdreht war. Meine Finger kamen mir dick und unbeholfen vor, wie losgelöst vom Körper. Ich wollte nicht von Cassie hören, dass der Mörder, wann immer er auch das Mädchen getötet hatte, wohl kaum hinter einem Container lauerte und mit vorgehaltener Waffe gestellt werden musste. Sie legte den Kopf in den Nacken und
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