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089 - Lebende Leichen

089 - Lebende Leichen

Titel: 089 - Lebende Leichen
Autoren: Larry Brent
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    Die grauhaarige Schwester in der gläsernen Loge hob lauschend den Kopf. Die Uhr der nahen Kirche schlug. Es war elf. Das große Haus lag still, die breite Vorhalle und die Treppen verschwanden im Halbdunkel. Nur ab und zu hörte man von außen, von jenseits des kleinen Parks, der das Hospital umgab, das ferne Rollen eines Autos. Durch die offene Glastür drangen die Nachtkühle und der Duft blühender Bäume und Blumenbeete. Es war die Stunde, in der sie leicht ins Träumen geriet. Das hatte Schwester Marion schon immer gern getan. Sie wußte, es war nicht gut für ihren Beruf, und sie nahm sich auch sonst sehr zusammen. Aber um diese Nachtzeit durfte sie es. Während sie sich über eine Liste der neu eingelieferten Patienten beugte, hörte sie plötzlich ein Geräusch. Zuerst unbewußt, aber es drang durch ihre Gedanken hindurch und brachte sie in die Wirklichkeit zurück.
    Es schien, als käme jemand mit nackten Füßen langsam eine Treppe herauf, Schritt für Schritt. Dazwischen lagen Sekunden, und nach jedem Schritt raschelte es, als schleife Papier über den Boden.
    Schwester Marion hob den Kopf und spähte in die halbdunkle Halle. Nichts war zu sehen, doch dann erkannte sie etwas genau.
    Nackte Füße kamen die Treppe herauf, die in den Keller führte.
    Die Augen der Schwester weiteten sich vor Entsetzen. Auf der Kellertreppe im Hintergrund der Halle stand jemand und trug das weiße Leinenhemd, das sonst den Toten übergezogen wurde.
    Die Gestalt verharrte einen Augenblick. Es war ein Mann. Sein Gesicht war verzerrt, unbeweglich und bleich wie Wachs. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Die Arme, die schlaff zu beiden Seiten hingen, baumelten bei jedem Schritt. Am linken Fuß zog er bei jedem Schritt das Kartonpapier hinter sich her, auf dem man Namen und Alter des Toten vermerkte.
    Wie ein Roboter zog der Mann durch die halbdunkle Halle. Seine Augen standen offen. Sie waren blind und tot.
    Schwester Marion wollte schreien, aber kein Ton entrang sich ihren weiß gewordenen Lippen. Sie wollte aufspringen, doch ihr Körper war wie gelähmt.
    Sie sah den Mann immer näher auf sich zukommen. Diese blinden Augen! Diese baumelnden Arme! Das verzerrte starre Gesicht!
    Langsam ging der Mann an der Loge vorbei auf die offene Tür zu.
    In diesem Augenblick löste sich die nur lose geknüpfte Schnur, mit dem das Kartonpapier an seinen linken Fußknöchel gebunden war. Es blieb liegen.
    Mit den Augen folgte Schwester Marion dem Mann. Sie sah ihn durch die gläserne Tür gehen und hörte seine Füße die wenigen Stufen hinunter in den Park schlurfen.
    Marion konnte sich wieder bewegen. Ihre Arme und Hände flogen, als sie zum Telefon griff.
    Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer. Eine Männerstimme meldete sich.
    » Dr. Martin. Kommen Sie schnell! Schwester Marion spricht hier. «
    » Ist was passiert? «
    » Ein Toter ist gerade zur Tür hinaus! «
    » Aber Schwester, ich bitte Sie! «
    » Doch, doch! Er kam aus dem Keller, und ist eben hinausgegangen! Ich schwöre es! «
    » Reißen Sie sich zusammen, Schwester! Irgendein dummer Scherz! Wer soll denn das gewesen sein? «
    » Ich weiß es nicht. Aber er hat sein Etikett verloren. Warten Sie, ich hole es, Augenblick! «
    Die Schwester legte den Hörer auf den Tisch, verließ die Loge und hob das Kartonpapier auf den Steinfliesen auf. Ihre Augen starrten dabei zur offenen Tür. Wenn dort wieder die Gestalt aufgetaucht wäre, dann wäre sie entweder in Ohnmacht gefallen oder hysterisch schreiend irgendwohin gelaufen. Aber die Tür blieb leer.
    Marion hastete zum Telefon.
    » Es steht da, Dvorak, Karl, 37 Jahre. Kennen Sie den Mann? «
    Sie hörte die Stimme des jungen Arztes antworten: » Jetzt hören Sie mir mal in Ruhe zu, Schwester Marion! Dieser Dvorak war Monteur. Er ist heute nachmittag bei Arbeiten an der Hochspannungsleitung verunglückt. Er hat einen Stromstoß von 20.000 Volt bekommen und war sofort tot. Das überlebt kein Mensch. Niemand! Verstehen Sie! Ich habe diesen Dvorak selbst untersucht, und Polizeiarzt Dr. Abel hat den Totenschein ausgestellt. Der Mann ist tot! «
    » Ich kann nur sagen, was ich eben gesehen habe. Der Tote ist soeben hier vorbeigegangen!
    Er war tot, aber er ist vor mir in den Park gegangen! Ich schwöre es Ihnen! «
    Sie hörte den Arzt seufzen. Dann sagte er: » Na schön, ich komme. «
    » Vielen Dank, Herr Doktor! «
    Die Schwester ließ den Hörer sinken. Ihre vor Angst geweiteten Augen waren die ganze Zeit auf
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