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Grabesgrün

Grabesgrün

Titel: Grabesgrün
Autoren: Tana French
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Allerdings veränderte sich ihre Aussage beim erneuten Erzählen und wurde als unzuverlässig eingestuft. Außerdem war ich nahezu katatonisch: Fast sechsunddreißig Stunden lang machte ich keinerlei selbständige Bewegung und sprach noch weitere zwei Wochen kein einziges Wort. Als ich wieder sprach, konnte ich mich an nichts erinnern.
    Das Blut an meinen Schuhen und Socken war A positiv – eine DNA-Analyse war 1984 in Irland noch nicht möglich. Auch ich hatte die Blutgruppe A positiv, aber die Schürfwunden an meinen Knien, obwohl sie tief waren, hätten nicht so stark geblutet haben können, um die Turnschuhe zu durchtränken. Germaine Rowans Blut war zwei Jahre zuvor wegen einer anstehenden Blinddarmoperation untersucht worden, und auch sie war A positiv. Peter Savages Blutgruppe war zwar nicht bekannt, aber da seine Eltern beide Blutgruppe 0 hatten, musste das bei ihm zwangsläufig auch der Fall sein. In Ermangelung weiterer Identifizierungsmöglichkeiten konnten die Ermittler nicht ausschließen, dass das Blut von einer unbekannten vierten Person oder von mehreren Personen stammte.
    Die Suche wurde in der Nacht auf den 15. August und noch Wochen danach fortgesetzt – Freiwillige durchkämmten die Felder und Hügel der Umgebung, jeder Sumpf wurde erkundet, Taucher suchten den Fluss ab, der durch den Wald verlief – vergeblich. Vierzehn Monate später entdeckte Mr Andrew Raftery, ein Anwohner, der im Wald mit seinem Hund spazieren ging, etwa sechzig Meter von dem Baum entfernt, an dem ich gefunden worden war, eine Armbanduhr. Die Uhr war unverkennbar – auf dem Ziffernblatt war ein kickender Fußballer, und der Sekundenzeiger hatte einen Fußball an der Spitze –, und Mr und Mrs Savage identifizierten sie als die ihres Sohnes Peter. Mrs Savage bestätigte, dass Peter die Uhr am Nachmittag seines Verschwindens getragen hatte. Es sah so aus, als wäre das Plastikarmband mit Gewalt von dem Metallgehäuse abgerissen worden. Möglicherweise hatte es sich an einem Ast verfangen, als Peter lief. Die Spurensicherung identifizierte etliche unvollständige Fingerabdrücke auf Armband und Ziffernblatt; alle stimmten mit den Vergleichsabdrücken von anderen Gegenständen überein, die Peter Savage gehörten.
    Trotz zahlreicher Aufrufe seitens der Polizei und trotz des großen Medieninteresses blieben Peter Savage und Germaine Rowan spurlos verschwunden.

    Ich ging zur Polizei, weil ich Detective im Morddezernat werden wollte. Meine Zeit während der Ausbildung und in Uniform – Templemore College, endlose komplizierte sportliche Übungen, in comicreifen Neonjacken in Kleinstädten Streife gehen, herausfinden, wer von den drei stadtbekannten Taugenichtsen das Fenster in Mrs McSweeneys Gartenlaube eingeschlagen hatte –, das alles war wie ein peinlicher Erstarrungszustand à la Ionesco, eine Feuerprobe der Langeweile, die ich aus irgendwelchen bürokratischen Gründen bestehen musste, um mir meinen Traumjob zu verdienen. Ich denke nie an diese Jahre und kann mich gar nicht mehr klar an sie erinnern. Ich schloss keine Freundschaften; für mich war meine Distanz zu dem gesamten Prozess ebenso unfreiwillig wie unvermeidlich, wie die Nebenwirkung eines Beruhigungsmittels, doch die anderen Cops deuteten sie als bewusste Arroganz, als gezielte Verhöhnung ihrer braven ländlichen Herkunft und ihrer braven ländlichen Ambitionen. Vielleicht stimmte das auch. Kürzlich stieß ich auf einen Tagebucheintrag aus meiner Ausbildungszeit, in dem ich meine Kommilitonen beschrieb: »Eine Herde von mundatmenden Hinterwäldlern, die in einem dermaßen dicken Klischeedunst herumwaten, dass man den Kohl und die Kuhscheiße und die Altarkerzen förmlich riechen kann.« Selbst wenn ich da einen schlechten Tag gehabt hatte, zeugt dieser Eintrag wohl doch von einem gewissen Grad an mangelndem Respekt für kulturelle Unterschiede.
    Als ich es endlich ins Morddezernat schaffte, hing meine neue Arbeitskleidung – gut geschnittene Anzüge aus edlen Stoffen, die sich unter den Fingern fast lebendig anfühlten, Hemden mit hauchzarten blauen oder grünen Nadelstreifen, weiche Kaschmirschals – schon seit fast einem Jahr im Schrank. Mir gefällt die ungeschriebene Kleiderordnung. Sie zählt zu den Dingen, die mich gleich zu Anfang an dem Job faszinierten, neben der funktionalen, lakonischen Insidersprache. In einer der Stephen-King-Kleinstädte, in der ich nach der Polizeischule eingesetzt worden war, geschah ein Mord: ein alltäglicher
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