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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Autoren: Aufbau
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er verlas eine ebenso dumme wie scheußliche Liste maßloser Verbrechen.
    In seinem weiten Sessel verloren, saß dürr und schmächtig in der strotzenden Gesandtenuniform Monsieur de Havré, der Geschäftsträger des Thronfolgers, der von Verona aus an Stelle des kleinen, von den Republikanern gefangenen Königs Frankreich regierte. Es war nicht leicht, ein Land zu regieren,von dem man keinen Quadratzoll besaß, noch weniger leicht, der Botschafter eines solchen Regenten zu sein. Monsieur de Havré war ein alter Diplomat, er hatte jahrzehntelang den Glanz von Versailles repräsentiert, er fand sich schwer in seine neue, klägliche Lage. Die Botschaften, die er im Auftrag seines Herrn, des Regenten, dem Hofe von Madrid zu bestellen hatte, sehr großspurig manchmal, nahmen sich merkwürdig aus im Munde eines Mannes, dessen Diplomatenuniform fadenscheinig wurde und der ohne die Unterstützung des spanischen Hofes sein Mittagessen nicht hätte bezahlen können. Da saß Monsieur de Havré, die schäbigsten Stellen seines Rockes mit dem Schiffhut deckend, seine schmale, bläßliche, hübsche, sechzehnjährige Tochter Geneviève neben sich. Auch sie hätte neue Kleider gut brauchen können, im Interesse Frankreichs und in ihrem eigenen. Ach, man war heruntergekommen. Man mußte froh sein, wenn die Herzogin von Alba einen einlud.
    Oben auf der Bühne hatte der Mann vom Tribunal der königlichen Dulderin das Todesurteil verkündet, und sie hatte erwidert, sie sehne sich danach, mit ihrem Gatten vereint zu werden. Doch so leicht machte man ihr das Sterben nicht: vielmehr hatten sich die gottlosen Schurken eine letzte Schmach ausgedacht. Marie-Antoinette habe, erklärte, immer in Versen, der Schreckensmann auf der Bühne, Frankreich durch die langen Jahre ihrer zügellosen Wollust in den Augen der Welt erniedrigt; deshalb sei es der Wille des Volkes, daß sie, selber entwürdigt, entblößt bis zum Nabel, zum Richtplatz geführt werde.
    Die Zuschauer hatten viele Berichte über das gräßliche Ereignis gelesen, aber das war neu. Sie horchten auf, schaudernd und gekitzelt, sie schüttelten die Schläfrigkeit von sich, das Schauspiel ging unter allgemeinem Interesse seinem Ende entgegen.
    Jetzt schloß sich der Vorhang, man klatschte höflich. Die Gäste standen auf, froh, die Glieder zu bewegen, sie promenierten durch den Saal.
    Mehr Kerzen wurden angezündet. Man konnte sehen, wer da war.
    Auffiel ein Mann, der sich inmitten dieser gepflegten Herren und Damen trotz seiner sorgfältigen, ja kostbaren Kleidung ein wenig ungelenk ausnahm. Er war nicht groß, unter schweren Lidern lagen tief die Augen, die Unterlippe war voll und gewalttätig vorgeschoben, die Nase kam gerade, fleischig und flach aus der Stirn heraus, der Kopf hatte etwas Löwenhaftes. Er schlenderte durch den Saal, fast alle kannten ihn und erwiderten seinen Gruß mit Achtung. »Es ist angenehm, Sie zu sehen, Don Francisco«, hörte er wieder und wieder.
    Don Francisco de Goya freute sich, daß ihn die Herzogin von Alba zu diesen erlesenen Gästen eingeladen hatte, er freute sich der Achtung, deren man ihn würdigte. Es war ein langer Weg gewesen aus dem Bauerndorfe Fuendetodos hierher in das Palais Alba, es war kein leichter Weg gewesen, aber hier war er, der kleine Francho, Maler des Königs jetzt, Pintor de Cámara, und wenn er diese großen Damen und Herren porträtierte, war es unentschieden, wer wem eine Gunst erwies.
    Er neigte sich tief vor der alten Marquesa de Villabranca. »Wie fanden Sie Stück und Aufführung, Don Francisco?« fragte sie. »Ich kann mir nicht denken«, antwortete er, »daß die Königin Marie-Antoinette so sollte gesprochen haben. Und wenn, würde ich ihren Tod weniger bedauern.« Die Marquesa lächelte. »Immerhin ist es schade«, meinte sie, »daß die Majestäten nicht da waren.« Es lag aber in ihrem Ton eine kleine Spitzbüberei, sie schaute ihn an mit ihren schönen, ungenierten Augen, den breiten, schmallippigen Mund um ein Winziges verzogen. Und auch er lächelte und dachte mit, was die Marquesa nicht aussprach, daß nämlich die spanischen Bourbonen vermutlich ein unangenehmes Kitzeln verspürt hätten, wenn sie den ganzen Abend von dem hätten hören müssen, was den Hälsen ihrer französischen Verwandten zugestoßen war.
    »Wann endlich werden Sie mich malen, Don Francisco?«fuhr die Marquesa fort. »Ich weiß, ich bin eine alte Frau, und Sie haben Besseres zu tun.« Er bestritt das, leidenschaftlich und mit Überzeugung.
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