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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Autoren: Aufbau
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er, Francisco, so viel ausgeben konnte ? Und ein Schmunzeln ging über sein Gesicht.
    Er war vor seinem Hause; der Sereno, der Blockwächter, sperrte ihm das Tor auf. Goya stieg hinauf, warf die nassen Kleider ab, legte sich zu Bett. Allein er konnte nicht schlafen. Im Schlafrock ging er in sein Atelier. Es war kalt. Auf leisen Sohlen schlich er über den Korridor. Aus dem Türspalt des Bedienten Andreo kam Licht. Goya klopfte; wenn der Bursche schon seine fünfzehn Realen bekam, sollte er wenigstensFeuer anmachen. Unwillig tat der halbangezogene Mensch, wie ihm geheißen.
    Goya saß nieder und schaute ins Feuer. Schatten kletterten die Wand hinauf, hinunter, fratzenhaft, unheimlich anziehend, bedrohlich. Ein Gobelin hing an der einen Wand, darstellend eine Prozession, das züngelnde Licht riß Teile heraus, den riesigen Heiligen, der auf einem Podium getragen wurde, Gesichter der wilden, inbrünstigen Menge. Der kinnbärtige Kardinal, der, von Velázquez gemalt, aus finstern, etwas gelangweilten Augen von der andern Wand schaute, wurde gespenstisch in dem Geflacker, und selbst die uralte, bräunlichschwarze Holzfigur der Jungfrau, die eckig anmutige Virgen de Atocha, Franciscos Schutzheilige, wurde spöttisch und bedrohlich.
    Goya stand auf, räkelte sich, riß sich mit kräftiger Schulterbewegung aus dem Geträume. Lief auf und ab. Nahm Streusand, schüttete ihn über den Tisch.
    In den Sand zu zeichnen hub er
    An. Es wurde eine nackte
    Frau; sie hockte auf dem Boden,
    Mit gekreuzten Beinen, lässig.
    In den Sand zurück verwischte
    Goya sie und machte eine
    Zweite, nackt auch sie und tanzend.
    In den Sand zurück auch diese
    Wischte Goya, machte eine
    Dritte. Aufrecht ging sie, stolzen
    Ganges, auf dem Kopfe trug sie
    Einen Krug. Auch diese mußte
    In den Sand zurück. Er griff zum
    Stifte. Zeichnete die vierte.
    Einen hohen Kamm trug diese,
    Und vom Kamm die schwarzen Spitzen
    Der Mantilla fielen über
    Ihre weiße Nacktheit. Seufzend,
    Hilflos zornig, durch die Nase
    Schnaubend, sah Francisco Goya
    Auf die Zeichnung und zerriß sie.
3
    Er arbeitete. Von der Leinwand schaute eine Dame, sehr hübsch, das längliche Gesicht leicht maskenhaft und spöttisch, die Augen weit auseinanderstehend unter hohen Brauen, den breiten Mund mit schmaler Ober- und starker Unterlippe geschlossen. Dreimal bereits war ihm die Dame gesessen. Außerdem hatte er verschiedene Skizzen von ihr gemacht. Jetzt arbeitete er an der Vollendung des Bildes. Er war seines Handwerks sicher und ein rascher Arbeiter. An diesem Porträt werkelte er schon die vierte Woche, und es wollte und wollte nicht glücken.
    Dabei war alles »richtig«. Dies war die Dame, die er darstellen wollte, er kannte sie genau und seit langem, er hatte sie mehrmals gemalt, sie war die Frau seines Freundes Miguel Bermúdez. Alles war da, das Verschwiegene, Spöttische, tief Verschmitzte, welches sie hinter ihrer damenhaften Maske versteckte. Aber ein Winziges fehlte, und dieses Winzige war für ihn das Entscheidende. Er hatte sie gesehen bei einer Gesellschaft Don Manuels, des Herzogs von Alcudia, des allmächtigen Günstlings, dessen vertrauter Sekretär Miguel Bermúdez war, sie hatte ein hellgelbes Kleid getragen, weißes Spitzengewebe darüber: und da auf einmal hatte er sie ganz gesehen, das Verschwebende, Verwirrende, das Abgründige, worauf es ankam. Es war ein gewisser silbriger Ton über ihrer Erscheinung gewesen, ganz genau hatte er damals beim Anblick dieser Doña Lucía Bermúdez in dem hellgelben Kleid mit dem weißen Spitzengewebe erkannt, was er machen wollte, machen mußte. Nun quälte er sich damit ab, und es war alles da, das Gesicht und das Fleisch und die Haltungund das Kleid und der helle, graue Hintergrund, der bestimmt richtig war. Und doch war nichts da: die Tönung war nicht da, auf die es ankam, und was fehlte, war ein Winziges, und was fehlte, war alles.
    In seinem Heimlichsten wußte er, warum das Bild nicht geriet. Mehr als zwei Wochen waren jetzt vergangen seit dem Theaterabend im Palais Alba, und er hatte von der Frau auf der Estrade nichts gehört. Er war erbittert. Wenn die Frau nicht kam, warum nicht wenigstens rief sie ihn und verlangte den Fächer? Gewiß, sie war beschäftigt mit ihrem frechen, lächerlichen Schloß in Moncloa. Auch hätte er ja wohl ungerufen zu ihr gehen und ihr den Fächer bringen können. Allein das litt sein Stolz nicht. Die Frau mußte ihn rufen. Die Frau wird ihn rufen. Ein Vorgang wie der auf der Estrade konnte
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