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Fränkisch Schafkopf

Fränkisch Schafkopf

Titel: Fränkisch Schafkopf
Autoren: Petra Kirsch
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    Paula Steiner, zweiundfünfzig, ledig, saß an ihrem Küchentisch und stierte auf die Nürnberger Kaiserburg. Es war der 29. März, ein lauer, stiller, einsamer Karfreitagabend, die Stadt war menschenleer. So leer, dass sie heute sogar direkt unter ihrer Wohnung einen Parkplatz gefunden hatte.
    Ostern stand vor der Tür, und auf die Kriminalhauptkommissarin kamen zehn Tage Urlaub zu. Noch heute Morgen hatte sie sich auf diese freie Zeit gefreut, es war ein Hochgefühl mit Aufbruchsphantasien und Ferienstimmung gewesen; sie hatte Pläne geschmiedet, was sie alles in der Wohnung erledigen wollte. Die Diele musste neu gestrichen werden, dann wollte sie das unansehnliche Waschbecken mit seinem rissigen, stumpfen Porzellan durch ein neues ersetzen lassen, und schließlich sollte auch der schäbige Stragula-Boden in der Küche erneuert werden. All dies und noch mehr stand auf ihrer häuslichen Sanierungsliste.
    Doch im jetzigen Augenblick war ihr die Lust darauf gründlich vergangen, schien die ganze Restaurierung nicht mehr so dringend wie noch vor wenigen Stunden. Ja, eigentlich als Zeitverschwendung für so etwas Kostbares wie einen Urlaub. Mit diesen Handwerksarbeiten würden die vor ihr liegenden freien Tage nur hintröpfeln, sich zäh wie Kaugummi ziehen, wegrutschen mit Banalitäten.
    Im Augenblick spürte sie keine Freude mehr bei dem Gedanken an eine generalüberholte Wohnung, momentan war ihr nur langweilig, ja regelrecht fad, und es graute ihr auch ein wenig vor so viel freier Zeit. Das lästige und enge Korsett des Arbeitsalltags fehlte ihr schon jetzt.
    Sie stand auf, zog endlich ihre Jacke aus, hängte sie an die Garderobe und legte den Schlüsselbund auf das Dielenschränkchen. Noch immer missmutig blickte sie auf die an manchen Stellen lose pockennarbige Raufasertapete in der Diele und entschied genau in dem Moment, als sie die Schuhe abstreifte: Hier wird die nächsten zehn Tage nicht rumgepusselt, hier bleibe ich auf keinen Fall. Also weg, sich ins Auto setzen und für ein paar Tage wegfahren. Aber wohin?
    Und vor allem: Was sollte sie an ihrem Urlaubsziel, von dem sie noch nicht einmal wusste, wo es liegen könnte, anstellen? Sich in Kunst und Kultur ergehen? Dafür fehlte ihr das Interesse. Sich am Strand die Sonne auf den Bauch scheinen lassen? Danach stand ihr ebenfalls nicht der Sinn. Sich irgendwie sportlich betätigen? Diese Art Aktivurlaub war in ihren Augen eine so ausgesprochen lächerliche wie ausgesprochen überflüssige Angelegenheit. Nein, das alles auf keinen Fall. Aber was dann?
    Zum Donnerwetter, es musste doch auch für sie – eine moderne und berufstätige Frau in den fast noch besten Jahren – etwas geben, womit sie ihren Urlaub rumbringen konnte. Sie bereute, sich nicht schon früher um ein Feriendomizil und das entsprechende Drumherum gekümmert zu haben. Wie das die meisten ihrer Kollegen machten, die ihre Urlaube rechtzeitig, das heißt: ein Jahr im Voraus, planten und buchten.
    Sie ging in die Küche zurück, entkorkte die Flasche des Weißburgunders von 2008 aus der Südtiroler Kellerei Kurtatsch, die sie eigens für diesen feierlichen Anlass des Urlaubsbeginns aus dem Keller heraufgeholt hatte, und schenkte sich ein großes Glas davon ein. Als sie den ersten Schluck genommen hatte, klingelte das Telefon. Es war Paul Zankl.
    Â»Servus, Paula. Na, wie fühlt sich die große Freiheit so an?«
    Â»Welche große Freiheit?«
    Â»Die Tatsache, dass du jetzt fast zwei Wochen nicht in die Arbeit musst.«
    Â»Nicht so toll«, antwortete sie wahrheitsgemäß.
    Â»Warum denn nicht?«, fragte Paul erstaunt. »Ich an deiner Stelle würde jubilieren. Jetzt kannst du endlich mal tun und lassen, was du willst. Und nirgendwo sitzt irgend so ein Hanswurst, der dir den ganzen Tag Vorschriften macht.«
    Â»Ich habe in der Arbeit keinen Hanswurst, der mir Vorschriften macht. Der Hanswurst bin ich schon selber.«
    Â»Ja, freust du dich denn gar nicht? Zumindest ein wenig?«
    Â»Nein, im Augenblick noch nicht. Warum auch? Aber ich denke, das sagte ich dir bereits«, fügte sie etwas verkniffen hinzu.
    Doch Paul schien ihr aufkeimender Ärger nicht zu beeindrucken. Ungerührt fuhr er fort: »Warum hast du dann überhaupt Urlaub genommen, wenn du keine Lust darauf hast?«
    Â»Weil ich erstens dermaßen viele Überstunden angesammelt habe, die
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