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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl
Autoren: Anne Holt
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m-m-m-mich daran festgeklllllllammert.«
    »Weg da«, sagte der Polizist gereizt, »geh da rüber!«
    Er zeigte auf einen Krankenwagen, der schräg auf dem Kai stand, mit Blinklicht über dem Gewimmel aus Uniformierten.
    »W-w-w-wer ist d-d-d-d-das da?«, fragte der Mann unbeeindruckt und schaute zu dem Leblosen auf der Bahre hinüber. »Im W-w-w-wasser hab ich den nicht gesehen.«
    »Darauf kannst du einen … Arne! Arne, bring diesen Kerl zum Krankenwagen, der kapiert nicht, was gut für ihn ist.«
    Ziemlich brutal wurde der Mann zum Krankenwagen geführt.
    »Der hätte sich ja wohl bedanken können«, sagte der Polizist und winkte einen Sanitäter herbei. »Ganz schöne Leistung, sich einfach so ins Wasser zu stürzen. Das hätte nicht jeder gemacht. Hier!«
    Er stand auf und legte die Hand auf die Schulter eines Mannes in reflektierender gelber Uniform.
    »Kümmre dich um unseren Helden«, sagte er lächelnd. »Sorg dafür, dass er wieder warm wird.«
    »Ich hole noch eine Trage. Zwei Sekunden, dann …«
    Der Junge schüttelte den Kopf und versuchte, aufzustehen. Er war nackt unter einer riesigen Decke, und jemand hatte ihm viel zu große Turnschuhe angezogen, ohne dass er es bemerkt hatte. Der Fahrer des Krankenwagens nahm ihn beim Arm, als er ins Schwanken geriet.
    »Das geht schon«, murmelte der Junge und zog die Decke dichter um sich zusammen. »Aber mir ist so verdammt kalt.«
    »Ich glaube, wir holen eine Trage«, sagte der Fahrer. »Nur …«
    »Nicht nötig.«
    Der Junge taumelte auf den Krankenwagen zu. Als er die Kaimauer fast erreicht hatte, blieb er für einen Moment stehen. Die salzigen Windstöße vom Fjord her machten ihm plötzlich klar, wie nah er dem Tod gewesen war. Er stand kurz vor den Tränen. Verlegen hob er die Decke vor die Augen. Er machte einen kleinen Schritt zur Seite, trat dabei auf den Rand der Decke und stolperte. Um nicht ganz das Gleichgewicht zu verlieren, griff er nach dem Erstbesten neben sich. Es war die Plane, die die Bahre mit dem Leichnam bedeckte.
    Jetzt ging es endgültig schief.
    Es konnte unmöglich länger als fünf Minuten her sein, seit er über Aker Brygge geschlendert war; allein und ohne Geld für ein Taxi nach Hause. Innerhalb dieser knapp dreihundert Sekunden war er in Eiswasser getaucht, hatte mit dem Tod gerechnet, hatte einen Mann vor dem Ertrinken gerettet, war von der Polizei gelobt worden und war jetzt kurz vor dem Erfrieren. In derselben Zeit waren drei Streifenwagen mit sechs uniformierten Polizisten sowie zwei voll besetzte Krankenwagen eingetroffen. Was ziemlich unbegreiflich war – kaum fünf Minuten.
    Außerdem hatte der Wachmann fünf Kollegen aus den umliegenden Geschäftshäusern herbeigerufen, sowie die Polizei die Verantwortung für den leblosen Körper übernommen hatte, den er festgehalten hatte.
    In diesem Chaos von uniformierten Männern und einer Frau irrten an die dreißig mehr oder weniger betrunkene Personen umher, ohne sonderlich auf die provisorischen Absperrungen zu achten. Die dramatische Szene schien alle, die sich an diesem Sonntagmorgen in der Nähe aufhielten, geradezu magisch anzuziehen. Und da also noch keine fünf Minuten vergangen waren, seit Aker Brygge still und verlassen gewesen war, hatte die Polizei noch nicht recht begriffen, welche Beziehung zwischen dem Wachmann, dem jungen Schwimmer, dem Betrunkenen und dem Leichnam bestand, den zwei von ihnen mit aller Mühe aus dem Wasser gezogen hatten. Die Polizei hatte natürlich ihre Erfahrung, aber es war Nacht, es herrschte Chaos, und zunächst war es das Wichtigste gewesen, den Betrunkenen an Land zu bringen. Außerdem war einer von den eigenen Leuten bei dem Versuch, die Leiche an Land zu schaffen, ins Wasser gefallen. Bei alledem hatten sich bisher erst zwei Polizisten den Toten genauer angesehen. Einer von ihnen, ein junger Beamter, stand zehn, fünfzehn Meter vor der Absperrung und übergab sich, ohne dass jemand darauf achtete. Der andere hatte die Leiche zugedeckt und erklärte gerade leise dem Einsatzleiter die Lage, als der junge Mann mit den Bartstoppeln stolperte und das Gleichgewicht verlor.
    Er fiel rückwärts. Die Decke glitt von seinen Schultern. Für einen Moment schien es ihm wichtiger zu sein, seine Blöße nicht zu zeigen, als sich irgendwo festzuhalten, und deshalb packte er im Sturz die Plane mit beiden Händen. Die Decke hing an der anderen Seite der Bahre fest und die Bahre neigte sich zur Seite. Für einen Sekundenbruchteil sah es so aus, als
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