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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl
Autoren: Anne Holt
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konnte sich nach Belieben als Katholik ausgeben. Das Gespräch mit dem Pater im Beichtstuhl war in dem braunen Lederbuch detailliert wiedergegeben. Es war Eriks erstes vertrauliches Gespräch über seine große, schwierige Lebenslüge gewesen.
    »War es dieser Geistliche, was glaubst du? Gehört er zu den › 25ern ‹ ?«
    Inger Johanne flüsterte, obwohl die Kinder bei ihren Eltern waren. Sie hatten sich um die Mädchen gekümmert, während Inger Johanne bei Silje Sørensen gewesen war, und beide hatten unbedingt noch bleiben wollen, als sie außer Atem eingetroffen war, um sie abzuholen.
    »Tja. Der Pater oder jemand, der mit ihm zu tun hat. Die Katholiken besitzen eine gewisse … Tradition für Ungesetzlichkeiten, um das mal so zu sagen.  Auf jeden Fall liegt auf der Hand, dass Erik nie mit anderen darüber gesprochen hat. Dass Eva Karin noch andere Vertraute neben Martine gehabt haben könnte, halte ich für ausgeschlossen. Ich war bei Martine. Eva Karin hat sonst niemanden gebraucht, das kannst du mir glauben.«
    Er lächelte in der Dunkelheit vor sich hin. »Eine wunderbare, wunderbare Frau. Sehr klug. Herzlich. – Jedenfalls werden die Amerikaner das jetzt klären. Es hat sich herausgestellt, dass das FBI schon allerlei wusste. Sie brauchten nur diesen … Schlüssel, könnte man sagen. Wir haben ihnen so viel Material geliefert, dass sie vermutlich die ganze Organisation auffliegen lassen können. Hier zu Hause laufen die Ermittlungen weiterhin auf Hochtouren. Wir werden alle Bewegungen von US-Bürgern während der letzen Monate überprüfen. Wir werden alles, was wir über die sechs Morde wissen, zusammenbringen, jetzt, da uns die Verbindung bekannt ist.  Wir werden …«
    »Das Bild«, fiel Inger Johanne ihm ins Wort. »Die Phantomzeichnung war der eigentliche Schlüssel. Für uns und für die Amerikaner. Silje hat mir erzählt, dass das FBI nur neun Stunden gebraucht hat, um die Identität des einen Täters zu ermitteln. Das Führerscheinregister zusammen mit dem Verzeichnis der Reisen zwischen Europa und den USA in den letzen Monaten hat gereicht, um den Mann zu ermitteln. Die Zeichnung hat die Lösung ermöglicht.«
    »Ja. Eigentlich ist es beängstigend, wie die Überwachung funktioniert. Das wird Wasser auf die Mühlen derer sein, die mehr von der Sorte haben wollen.«
    Yngvar küsste sie auf die Haare. »Das Bild war wichtig«, sagte er dann. »Da hast du recht. Aber vor allem ist es dein Verdienst, Schatz.«
    Sie schwiegen beide.
    »Yngvar  … «
    »Ja.«
    »Wenn sie die › 25er ‹ hochgehen lassen, dann wird früher oder später eine neue Organisation auftauchen, die für dasselbe steht. Dasselbe meint. Dasselbe tut.«
    »Ja. So ist das wohl.«
    »Auch hier in Norwegen?«
    »Im Grunde entscheiden wird das ja selbst.«
    Die Stille hielt so lange an, dass Yngvars Atem einen langsameren Rhythmus annahm.
    »Yngvar  … «
    »Jetzt sollten wir schlafen, Liebes.«
    »Hast du nie an Gott geglaubt?«
    Sie konnte hören, dass er lächelte.
    »Nein.«
    »Warum nicht? Nicht mal beim Tod von Elisabeth und Trine und …«
    Er hob vorsichtig den Arm und schob sie behutsam weg. »Ich möchte jetzt wirklich sehr gern schlafen. Und du solltest das auch tun.«
    Das Bett wogte, als er sich auf die Seite drehte und ihr den Rücken zukehrte. Sie schmiegte sich wieder an ihn und spürte ihn wie eine warme große Wand an ihrem nackten Körper. Er brauchte weniger als eine Minute, um wieder einzuschlafen.
    »Yngvar«, flüsterte sie ganz leise. »Ab und zu glaube ich an Gott. Ein bisschen jedenfalls.«
    Er lachte, aber er lachte im Schlaf.

Epilog/Prolog
Mai 1962

Die Begegnung
    Eva Karin ist soeben sechzehn geworden und trägt ein Kleid aus hellblauem Wollstoff.
    Ihre Mutter hat es genäht, so wie alle Kleider, die Eva Karin jemals besessen hat. Dieses ist das schönste und das erste in erwachsenem Schnitt; ein Jackie-Kennedy-Kleid, noch ehe sie sich eins wünschen konnte. Sie hat gar nicht an ihren Geburtstag gedacht.
    Es war nur Platz für das eine, das Riesige. Das Entsetzliche muss verschwinden.
    Als sie das Geschenk auspackte, musste sie so tun, als freute sie sich. Als ob sie sich überhaupt noch über irgendetwas freuen könnte. Die Mutter selbst war so glücklich über den schönen Stoff und die schöne Näharbeit, dass sie nicht bemerkte, wie es Eva Karin zumute war.
    Niemand kann sehen, wie es Eva Karin zumute ist. Nur Gott, wenn es Ihn gibt.
    Sie hat das Kleid angezogen, als sie an diesem Morgen
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