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0907 - Die blutenden Bäume

0907 - Die blutenden Bäume

Titel: 0907 - Die blutenden Bäume
Autoren: Jason Dark
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Raskin hörte sich atmen.
    Nein, das war schon ein Keuchen. Ein Ungeheuer schien in seinem Körper zu hocken, dick wie eine Qualle, furchtbar grausam, immer wieder den Atem ausströmend.
    Wann? schrie es in ihm. Wann ist es soweit?
    Er fuhr mit einer Hand über die Stirn. Sie war schweißnaß wie sein ganzer Körper, an dem die Kleidung bereits festklebte.
    Er fuhr noch schneller. Durch das Fahrzeug ging ein regelrechter Ruck, der sich auch auf Raskins Körper übertrug, und die Reifen hinterließen auf dem Belag schmatzende Geräusche.
    Die Gegend rechts und links der Straße war nur wenig bewachsen. Hügel bildeten ein sanftes Auf und Ab. Auf den Südhängen wuchsen die Weinstöcke; das Land der Franken war auch für seine herrlichen Weine bekannt.
    Daran dachte er nicht. Für Fritz Raskin sahen die Hügel aus wie drohende Schatten. Kein Licht fuhr über sie hinweg, sie blieben in der Finsternis verborgen, ebenso wie die kleineren Orte, die er inzwischen passiert hatte.
    Eine Kurve.
    Raskin mußte die Geschwindigkeit drosseln. Dahinter begann der Wald.
    Ein beschwerlicher Weg würde sich anschließen, doch dann hatte er die blutenden Bäume erreicht.
    Er hörte die Reifen, wie sie über den Belag radierten. Sie schienen gegen die Behandlung zu protestieren. Er kam sich vor wie jemand, der zahlreiche, kleine Tiere überfahren hatte, und in seinen Visionen malte er sich einen blutigen Teppich aus, über den er hinwegrutschte.
    Weiter durch die langgezogene Kurve. Am Scheitelpunkt stand ein großes Kreuz, als Erinnerung daran, daß hier schon einige Raser tödlich verunglückt waren.
    Raskin schaltete das Fernlicht aus, als er den Übergang und die Bushaltestelle erkannte. Um diese Zeit hielt dort kein Fahrzeug mehr, und es würde auch niemanden geben, der auf den Bus wartete. Er war allein, ganz allein. Allein mit dem Blut.
    Wenn er schluckte, dann glaubte er, den Blutgeschmack in der Kehle zu spüren. Leicht erdig, pflanzig, auch salzig und zudem leicht metallisch.
    So wie Blut eben schmeckte, nur mit anderen Ingredienzien versetzt. Es war der Stoff, aus dem die Kraft bestand, die herrliche Kraft.
    Der Wagen tanzte etwas, und auch das bleiche Licht zuckte über die Fahrbahn. Raskin fuhr an die Seite. Seine Lippen verzogen sich, als er grinste. Ja, er hatte die Stelle gefunden. Die Spuren, in die er hineinfuhr, waren identisch mit denen seiner Reifen, denn diesen Platz hatte er schon des öfteren angefahren. Er stoppte.
    Tiefes Durchatmen. Die Welt, die er so verschwommen wahrgenommen hatte, klärte sich allmählich trotz, der Finsternis, die ihn wie ein dichter Sack umgab.
    Raskin schnallte sich los, drückte die Tür auf und malte sich für einen Moment als krumme Gestalt im Licht der Innenbeleuchtung ab. Dann stieg er aus seinem Toyota, hämmerte die Tür wieder zu, schloß den Wagen aber nicht ab.
    Die Nacht war kühl, aber nicht kalt. Der Winter schien sich endgültig verabschiedet zu haben. Von den Hügeln wehte zwar ein frischer Wind, der aber tat ihm nichts.
    Raskin schaute über den Wagen hinweg, und plötzlich zuckten seine Lippen. In die Augen trat ein gewisses Strahlen, denn der nahe Wald hob sich dort ab wie eine dunkle Mauer.
    Er war sein Ziel.
    Raskin konnte es nicht mehr erwarten. Wieder wurde er nervös. Der Adrenalinspiegel stieg. Er sah es nicht, aber sein Gesicht war sicherlich knallrot geworden.
    Wieder mußte er stöhnen, weil er es nicht schaffte, normal Atem zu holen.
    Dann hustete er, beugte sich nach vorn und lief an der Kühlerhaube vorbei. Der Anfall hatte ihn regelrecht durchgeschüttelt, aber Raskin war nicht stehengeblieben.
    Mit dem rechten Fuß zuerst trat er ins Leere - und dann hinein in den Straßengraben. Bis zur Wade versank er im mit Wildkräutern zugewachsenen Schlammbett.
    Raskin fluchte. Er beugte sich vor, krallte sich an der Böschung fest und fand tatsächlich Halt.
    Dann kroch er in die Höhe. Er zog die Beine aus dem Schlamm und hatte Glück, daß er nicht wieder zurückglitt.
    Den Ausrutscher steckte er schnell weg. Für ihn allein zählte, daß er endlich an das Blut herankam. Bei den blutenden Bäumen würde er seinen Hunger stillen und sein Seelenheil finden.
    Raskin überwand die Böschung. Er wuchtete sich hoch. Für einen Moment blieb er stehen, die Füße naß und im feuchten Gras versunken.
    Niemand sah die einsame Gestalt am Rand der Böschung, die zitterte und knurrte. Die Augen waren starr nach vorn gerichtet, allein der Wald war ihm wichtig und sonst
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