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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Autoren: Sasa Stanisic
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Wie lange ein Herzstillstand für hundert Meter braucht, wie schwer ein Spinnenleben wiegt, warum mein Trauriger an den grausamen Fluss schreibt und was der Chefgenosse des Unfertigen als Zauberer draufhat
    O pa Slavko maß meinen Kopf mit Omas Wäschestrick aus, ich bekam einen Zauberhut, einen spitzen Zauberhut aus Kartonpapier, und Opa Slavko sagte: eigentlich bin ich noch zu jung für so einen Quatsch und du schon zu alt.
    Ich bekam einen Zauberhut mit gelben und blauen Sternen, sie zogen gelbe und blaue Schweife, dazu schnippelte ich eine kleine Mondsichel und zwei Dreiecksraketen aus, eine flog Gagarin, die andere Opa Slavko.
    Opa, mit dem Hut lasse ich mich nirgendwo blicken!
    Das will ich hoffen!
    Am Morgen des Tages, an dessen Abend er starb, schnitzte mir Opa Slavko aus einem Ast den Zauberstab und sagte: im Hut und im Stab steckt eine Zauberkraft, trägst du den Hut und schwingst du den Stab, wirst du der mächtigste Fähigkeitenzauberer der blockfreien Staaten sein. Vieles wirst du revolutionieren können, solange es mit den Ideen von Tito konform geht und in Übereinstimmung mit den Statuten des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens steht.
    Ich zweifelte an der Zauberei, aber ich hatte keine Zweifel an meinem Opa. Die wertvollste Gabe ist die Erfindung, der größte Reichtum die Fantasie. Merk dir das, Aleksandar, sagte Opa ernst, als er mir den Hut aufsetzte, merk dir das und denk dir die Welt schöner aus. Er übergab mir den Stab. Ich zweifelte an nichts mehr.

     
    Es ist üblich, dass man hin und wieder wegen der Verstorbenen traurig wird. Bei uns findet das statt, wenn Sonntag, Regen, Kaffee und Oma Katarina zusammenkommen. Oma schlürft dann aus ihrer Lieblingstasse, der weißen mit dem Sprung im Griff, weint und erinnert sich an alle Toten und an die guten Dinge, die sie gemacht haben, bevor ihnen das Sterben dazwischenkam. Heute sind Familie und Freunde bei Oma, weil wir uns an Opa Slavko erinnern, der seit zwei Tagen vorläufig tot ist, so lange, bis ich meinen Zauberstab und meinen Hut wiederfinde.
    Noch nicht gestorben in meiner Familie sind Mutter, Vater und Vaters Brüder – Onkel Bora und Onkel Miki. Nena Fatima, die Mutter meiner Mutter, hält sich noch gut, bei ihr sind nur die Ohren und die Zunge gestorben – sie ist taub wie eine Kanone und stumm wie Schneefall. Sagt man. Tante Gordana ist auch noch nicht gestorben, sie ist Onkel Boras Frau und schwanger. Tante Gordana, eine blonde Insel im dunklen Haarmeer unserer Familie, wird von allen Taifun genannt, weil sie viermal lebendiger lebt als normale Menschen und achtmal schneller läuft und vierzehnmal hektischer redet. Sie legt selbst die Strecke von der Kloschüssel zum Waschbecken im Sprint zurück und hat an der Ladenkasse alles ausgerechnet, bevor es die Kassiererin eintippen kann.
    Alle sind wegen Opa Slavkos Tod zu Oma gekommen, reden aber über das Leben in Tante Taifuns Bauch. Niemand zweifelt daran, dass Tante ihr Baby spätestens am Sonntag, maximal am Montag bekommen wird, Monate zu früh, aber schon fertig wie im neunten. Ich schlage vor, das Baby Speedy Gonzales zu nennen. Tante Taifun schüttelt ihre blonden Locken: sindwirmexikaner? Wirdnmädchenkeinemaus! Emawirdsieheißen.
    Und Slavko, fügt Onkel Bora leise hinzu, Slavko, wenn es ein Junge wird.
    Groß und überall ist heute die Liebe für Opa Slavko, bei allen Schwarzangezogenen, die bei Oma Katarina Kaffee trinken und verstohlen zum Sofa sehen, auf dem Opa saß, als
Carl Lewis in Tokio den Weltrekord aufstellte. Opa starb in 9,86 Sekunden, sein Herz lieferte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Carl Lewis – das Herz stand still, und Carl raste wie ein Wahnsinniger. Opa keuchte, und Carl riss die Arme in die Luft und warf sich eine amerikanische Fahne über die Schultern.
    Die Trauergäste bringen Pralinen und Würfelzucker mit, Cognac und Schnaps. Sie möchten Omas Trauer mit Süßem aufwiegen und trinken gegen ihre eigene an. Die männliche Trauer riecht nach Rasierwasser. Sie steht in kleinen Runden in der Küche und betrinkt sich. Die weibliche Trauer sitzt mit Oma um den Wohnzimmertisch, schlägt Namen für das neue Leben in Tante Taifuns Bauch vor, und diskutiert die gesündeste Schlafposition in den ersten Monaten. Als Opas Name fällt, schneiden die Frauen Kuchen und bieten sich gegenseitig die Stücke an. Sie zuckern den Kaffee und rühren ihn mit Löffeln um, die aussehen wie Spielzeugbesteck.
    Immer loben Frauen Kuchen.
    Ur-Oma Mileva und Ur-Opa Nikola sind
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