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Gotteszahl

Gotteszahl

Titel: Gotteszahl
Autoren: Anne Holt
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beendet war.
    Inger Johanne blieb in Gedanken versunken sitzen, bis Knut Bork das Zimmer verlassen hatte und Silje mit der Hand auf dem Lichtschalter dastand.
    »Willst du hierbleiben?«, fragte sie. »Dann wirst du ganz schön allein sein.«
    Marcus Koll jr. war allein in dem großen Haus auf Holmenkollen. Nur die Hunde schliefen im Korb neben dem Kamin. Er hatte geduscht und saubere Kleidung angezogen. Da er nicht wusste, wie lange Rolf wegbleiben würde, hatte er den elektrischen Rasierer benutzt, statt sich eine richtige Runde mit Schaum und Klinge zu gönnen. Als er fertig war, hatte er einige Minuten in seinem Arbeitszimmer verbracht, um sich dann in einen der weichen Ohrensessel vor die Aussichtsfenster mit Blick auf Stadt und Fjord zu setzen.
    Und zu warten.
    Er war ruhig. Erleichtert gewissermaßen. Ein leises Kribbeln im Körper erinnerte ihn eher an Verliebtheit als an die Trauer, die er empfand.
    Es war die Aussicht, die ihn damals so verlockt hatte.
    Der Garten verlief als sanfter Hang zu den beiden hohen Fichten am Grundstücksende. Die anderen Bäume am Zaun versperrten den Einblick von den tiefer gelegenen Nachbarhäusern, stahlen ihm aber nichts von dem prachtvollen Panorama. Es war, als lebte man hier oben weit außerhalb der Stadt, und dieses Gefühl von Isolation, zusammen mit dem Ausblick, hatte ihn dazu gebracht, das Grundstück zu kaufen.
    »Sitzt du hier im Dunkeln?«, hörte er hinter sich eine Stimme.
    Im Wohnzimmer wurde jetzt ein Licht nach dem anderen eingeschaltet.
    »Marcus?«
    Rolf kam auf ihn zu, einen leicht verwirrten Ausdruck in den Augen. »Hast du dich schon umgezogen? Es ist doch erst halb drei und …«
    »Setz dich, bitte.«
    »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr, Marcus. Ich hoffe, das hier dauert nicht zu lange, wir haben noch viel zu erledigen. Cusi hat beschlossen, bei Johan zu übernachten, deshalb …«
    »Schön. Setz dich. Bitte.«
    Rolf setzte sich einen Meter weiter in den Zwillingssessel. »Was ist los?«
    »Erinnerst du dich an die Festplatte, die du gefunden hast ?«, fragte Marcus.
    »Was?«
    »Weißt du noch, dass du im Maserati eine Festplatte gefunden hattest?«
    »Ja. Du hast gesagt … Ich weiß nicht mehr, was du gesagt hast, aber was ist damit?«
    »Die war nicht ruiniert. Ich hatte sie aus meinem Rechner genommen, damit niemand sehen könnte, welche Websites ich an dem Abend aufgerufen hatte. Für den Fall einer Überprüfung, meine ich.«
    Rolf saß auf dem Sesselrand, mit halb offenem Mund. Marcus hatte sich zurückgelehnt, seine Füße lagen auf dem zum Sessel passenden Schemel, beide Unterarme auf den weichen Armlehnen.
    »Porno«, Rolf lächelte unsicher bei dieser Annahme. »Hast du … hattest du etwas heruntergeladen, was verboten …«
    »Nein. Ich hatte einen Artikel in Dagbladet gelesen. Ganz harmlos, natürlich, aber ich wollte sichergehen. Ganz sicher.«
    Er seufzte, halb vor Lachen, halb vor Weinen, dann sah er Rolf an und sagte: »Kannst du dich bitte ein wenig anders hinsetzen?«
    »Ich sitze so, wie ich will. Was ist eigentlich los mit dir, Marcus? Deine Stimme ist komisch, und du bist … komisch. Sitzt hier am frühen Samstagnachmittag in Schlips und Kragen und redest über verbotenes Surfen in … Dagbladet . Was in aller Welt soll denn so schlimm daran sein, wenn du …«
    Marcus sprang auf. »Ich bitte dich«, sagte er und fuhr sich in einer Geste der Ohnmacht mit beiden Händen über den Kopf. »Ich bitte dich so sehr, mir jetzt zuzuhören. Ohne mich zu unterbrechen. Es ist ohnehin schon schwer genug, und jetzt habe ich immerhin einen Anfang gefunden. Lass mich weitermachen. Okay?«
    »Natürlich«, sagte Rolf. »Was ist denn … Natürlich. Rede. Erzähl.«
    Marcus starrte einige Sekunden den Stuhl an, dann setzte er sich wieder. »Ich war auf einen Artikel über einen Künstler namens Niclas Winter gestoßen. Er war tot. Überdosis, wie angedeutet wurde.«
    »Niclas Winter«, sagte Rolf verwirrt. »Er war eins von den Opfern dieser …«
    »Ja. Auch er wurde von dieser amerikanischen Hassgruppe ermordet, über die Verdens Gang in den letzten Tagen so viel geschrieben hat. Er war außerdem mein Bruder. Mein Halbbruder. Der Sohn meines Vaters.«
    Rolf erhob sich langsam aus dem Sessel.
    »Bleib sitzen«, sagte Marcus. »Bitte, bleib sitzen!«
    Rolf gehorchte, saß nun aber wie sprungbereit da.
    »Ich wusste nichts von ihm«, sagte Marcus. »Bis Oktober. Da war er bei mir. Es war natürlich ein Schock, aber vor allem war es
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