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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Autoren: Bastei Lübbe
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nachgab. Der Bursche schrie vor Schmerz, als seine Handknochen brachen und die Knochenkanten sich in die Nerven und Muskeln bohrten. Dann wurde er an dem gebrochenen Handgelenk vorwärtsgezogen. Der Schmerz war unbeschreiblich, und plötzlich spürte der junge Mann einen Schmerz auch im Knie. Er hörte, dass von irgendwo weiter hinten etwas scharf durch die Luft sauste. Glas zerklirrte gegen jemandes Gesichtsknochen, und ein scharfer Schrei durchschnitt die Luft. Dann fiel er selbst mit dem Gesicht voran zu Boden. Er spürte, wie ihm mehrere Zähne ausbrachen, wie seine Lippen gequetscht wurden und wie sein Gesicht über den Asphalt schrammte. Ein schwerer Fuß stellte sich ihm auf den Nacken, während sein Arm mit fürchterlicher Kraft nach hinten gedreht wurde. Erschüttert ahnte er, dass sein Genick brechen und er gleich sterben würde.
    »Nein, Lauri, tu das nicht!«, schrie die Frau so laut, wie sie nur konnte.
    Aus dem Augenwinkel sah der Bursche, dass die Frau mit aller Kraft, mit der ganzen Kraft ihres Körpers und ihrer Schenkel und ihrem ganzen Gewicht den Mann in eine andere Richtung drehte, sodass er ihm das Genick nicht würde brechen können. In einiger Entfernung kauerte einer seiner Kameraden am Boden, das Gesicht zerfetzt und blutig. Die drei anderen standen vor Schreck wie erstarrt. Er konnte immer noch nicht glauben, dass das alles tatsächlich geschah.
    »Lauri, ich bin nicht in Gefahr«, erklärte die Frau eilig, halb schreiend. »Alles ist gut, und sie tun mir nichts Böses sie tun mir nichts Böses SIE TUN MIR NICHTS BÖSES, du brauchst mich nicht zu verteidigen!«
    Ja, ich meinerseits ... bin völlig bereit ... euch in Ruhe zu lassen, dachte der Bursche und schnappte nach Luft. Er spürte, wie das Gewicht in seinem Nacken zunahm. Jetzt sterbe ich, dachte er. Dann ließ der Druck plötzlich nach.
    Katharine Henshaw sah durch den von den Regentropfen gewebten Schleier hindurch, wie in den Händen der drei immer noch dastehenden Bandenmitglieder etwas aufblitzte. Messer? Der Bursche, den Lauri mit einer Flasche beworfen hatte, jammerte schwach.
    »Nun hört aber mal auf«, sagte Katharine müde. »Ihr solltet jetzt wirklich keine Dummheiten machen.«
    Die jungen Leute sahen sie unsicher an, plötzlich ganz hilflos.
    »Messer helfen hier gar nichts«, erklärte Katharine. »Er würde sie nur euch selbst in den Leib rammen. Das könnt ihr mir glauben. Ihr seid in einer Minute tot, wenn ihr jetzt nicht beiseitegeht.«
    Keine Reaktion. Der am Boden liegende Bursche wirkte leblos.
    »Wollt ihr denn sterben?«, schrie Katharine. »Warum? Weshalb? Warum bloß? Habt ihr niemanden, für den ihr leben wollt? Keine Freundin? Kinder? Keine Mutter? Geht nach Hause!«
    Die Bandenmitglieder starrten Katharine und Lauri an und konnten sich nicht entscheiden, was sie tun sollten. Aber sie gaben den Weg nicht frei.
    »Na, wie ihr wollt«, seufzte Katharine. »Wir gehen jetzt. Ihr müsst euch entscheiden. Ob ihr sterben wollt oder leben. To be honest, I couldn’t really care less.«
    Die Bandenmitglieder traten ohne ein Wort zur Seite. Katharine Henshaw fasste Lauri Nurmi bei der Hand und zog ihn halb mit Gewalt durch die Gruppe hindurch, ohne noch zur Seite oder hinter sich zu blicken.

3
    Als Lauri Nurmi erwachte, wusste er nicht, wo er sich befand. Die Luft war wärmer, als er es in Erinnerung hatte, sie streichelte sein Gesicht wie Seide. Der Regen hatte aufgehört. Gut. Der New Yorker Winter war manchmal allzu grau und rau.
    Um ihn herum standen stachelige Bäume mit kleinen Blättern und leuchtend gelber Rinde. Ihre Wipfel waren weit ausladend, als wollten sie all diejenigen schützen, die vor der Sonne oder dem Regen unter ihnen Zuflucht suchten. Regenschirmakazien, dachte er verblüfft.
    Vor ihm lag ein See, und in etwa zehn oder fünfzehn Kilometern Entfernung schimmerte blau das gegenüberliegende Ufer. Der See war von schwarzem Schlamm umgeben, und in der Nähe der Wassergrenze gab es einen hellgrauen, stellenweise ganz weißen Streifen. Salz und Schlamm. Vielleicht war er gar nicht mehr in New York.
    Im flachen Uferwasser standen mindestens eine halbe Million Flamingos wie ein unermesslicher rosa Wald. Ihre aus dem Wasser aufragenden dünnen Beine waren wie lichtes rosa Schilf. Um die Flamingos herum schwammen Tausende und Abertausende von Wildenten und Gänsen wie flache, dichte schwarze Flöße auf dem Wasser. Dazwischen fielen ihm große Pelikane sowie schwarz-weiße Kormorane auf. Die Kormorane
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