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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Autoren: Bastei Lübbe
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Zigarettenschachteln, Limonadeflaschen und Einwegverpackungen aus Schaumstoff. Igitt, was für ein Dreckhaufen, dachte sie angewidert. Ich sollte hier wegziehen, irgendwohin, wo es nicht so eng und schmutzig ist. Zum Beispiel zurück nach Phoenix. Oder ganz woanders hin.
    Sie blieb stehen und horchte. Irgendwo in der Ferne hörte sie das Brausen und Hupen des Verkehrs. Der Wind heulte im Cañon zwischen den hohen Gebäuden. Die Regentropfen trommelten auf den Regenschirm. Das in den Fallrohren herabstürzende Wasser erzeugte einen metallischen Klang.
    Es blieb ihr nichts anderes übrig, als weiterzugehen, obwohl die Suche ihr allmählich hoffnungslos erschien. Außerdem wusste sie, dass diese Gegend nicht zu den sichersten von New York gehörte. Andererseits würde sich wohl niemand die Mühe machen, sie bei einem solchen Hundewetter auszurauben oder zu misshandeln.
    Da sah sie, was sie gesucht hatte.
    Ein einsamer Mann hockte an der Wand. Die Frau erkannte ihn sofort. Die kleine freudige Erregung, die sie dabei spürte, überraschte sie ein wenig. In dieses Gefühl mischte sich eine Prise Gereiztheit, Mitleid und vielleicht auch etwas ... Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Das hätte die Lage erheblich komplizierter und schwieriger gemacht, als ihr im Augenblick lieb war.
    Der Mann war völlig durchnässt. Er lehnte den Kopf gegen ein verstopftes Fallrohr, und von irgendwo ganz oben ergoss sich das Wasser direkt auf ihn. Er ließ es sich über das Gesicht laufen, als hoffte er, es möge etwas von ihm abwaschen, das er unbedingt loswerden wollte.
    Wieder regte sich Mitgefühl in ihr.
    »Hallo«, sagte sie schlicht.
    Der Mann drehte sich um. Das Wasser pladderte ihm auf die Schädeldecke und rann ihm durch die Haare in den Nacken und auf die Brust. Der Mann erkannte die Frau sofort.
    »Grüß dich«, sagte er.
    Er wirkte müde und traurig.
    »Ich weiß nicht, warum ich gerade dich angerufen habe«, fuhr er fort.
    Vielleicht hattest du einfach niemand anders, den du hättest anrufen können, dachte die Frau.
    »Ärgert es dich, dass ich ...«
    Die Frau schüttelte ungeduldig den Kopf.
    »Nein, es ärgert mich nicht. Aber hat es einen Sinn, dass du dort auf der Erde sitzt? Findest du das gut?«
    Der Mann überlegte einen Augenblick. Das Wasser lief immer noch aus der Dachrinne direkt auf ihn herab.
    »Ich bin wohl ziemlich betrunken«, sagte er schließlich. »Vielleicht habe ich ein oder zwei Gläser zu viel getrunken. Vielleicht waren es sogar mehr als zwei.«
    Die Frau seufzte entnervt.
    »Du kriegst eine Lungenentzündung, wenn du noch länger da sitzen bleibst. Es ist nicht besonders warm.«
    »Ich weiß nicht. Ich hab es hier doch ganz gemütlich. Das Wasser ... tut gut. Vielleicht spült es alles fort. Wenn ich nur Geduld habe ...«
    »Du kannst für die Nacht zu mir kommen, wenn du willst.«
    »Ich möchte dir nicht zur Last fallen«, sagte er zögernd.
    Die Frau lächelte.
    »Du hast mir doch praktisch zu dieser Wohnung verholfen.«
    Lange Zeit sagte der Mann nichts, sondern ließ weiter das Wasser über sich laufen.
    »Vielleicht solltest du einfach gehen und mich hier sitzen lassen.«
    »Ach, nun komm schon«, sagte die Frau. »Gehen wir, ich werde langsam nass.«
    Sie klappte den Regenschirm zusammen, und im Nu waren ihre Haare und Schultern nass vom Regen. Sie verstand, dass es nur einige Minuten brauchte, bis sie selbst völlig durchnässt sein würde. Wirklich toll, dachte sie. Sie reichte dem Mann die Hand. Der zögerte einen Moment, ergriff sie dann aber doch.
    Beinahe wäre er gestolpert, und die Frau musste ihn einen Augenblick lang stützen, bevor er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte.
    »Du musst ja so einiges intus haben«, bemerkte sie. »Ich wette, dass es eher zwölf als zwei Gläser waren.«
    »Kann ... sein«, bekannte er. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr.«
    »Kannst du dich auf den Beinen halten?«
    »Aber immer. Hör mal, es tut mir wirklich leid, dass ich dich bemüht habe. So hab ich nicht mehr getrunken, nachdem ich ...«
    Die Frau löste ihren Griff, und sie gingen auf die Einmündung der Gasse zu, sie voran und er ein paar Meter hinter ihr her. Der Wind blies jetzt direkt von vorn und schleuderte ihnen den Regen ins Gesicht.
    »Sieh mal, sie waren doch alle ... unschuldig. Keiner von ihnen hatte mit der Sache etwas zu tun ... Aber woher hätte ich das wissen sollen?«
    Die Frau hatte schon früher Bruchstücke dieser Geschichte gehört, aber sie verstand immer
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