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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Autoren: Bastei Lübbe
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sahen aus, als stammten sie aus einer viel älteren Zeit. Sie waren wie altertümliche Vögel, die man sich gut in der Gesellschaft von Dinosauriern vorstellen konnte. Auf dem Schlammfeld tummelten sich mit flinken Bewegungen Watvögel, die in kugelförmigen Schwärmen das Ufer entlangflogen. Die Bäume an der Wassergrenze waren voller zierlicher weißer Kuhreiher, viele Hunderte in jedem Baum. Im Uferwasser staksten auch Graureiher, schwarz-weiße Störche und zahlreiche der wesentlich größeren Goliathreiher.
    Weiter entfernt ragten aus dem See hohe, grau-verdorrte Bäume heraus, in deren Ästen Kormorannester hingen wie seltsame Früchte. Lauri sah, dass es in dem See noch mindestens drei weitere riesige Ansammlungen von Flamingos gab. Aus der nächstgelegenen erhoben sich plötzlich fünfzehn- bis zwanzigtausend Vögel in die Luft. Sie klöppelten für einen Augenblick den Himmel voll mit rosa Spitzen.
    Am Ufer tummelten sich zwei Dutzend graubrauner, struppiger Wasserantilopen. Lauris Miene wurde ganz weich, er hatte die freundlichen und sympathischen Wasserantilopen immer gern gehabt. Auch im Dunkeln erkannte er klar die Hinterteile der von ihm abgewandten Tiere und deren typisches, V-förmiges Gehörn.
    Von einem Akazienwald her kam eine hundertköpfige Pavianhorde auf ihn zu. Die Weibchen trugen ihre Jungen auf dem Rücken oder am Bauch, die größten Männchen entblößten das Gebiss und zeigten ihm ihre Eckzähne. Unter den Köteln, die die Wasserantilopen am Ufer hatten fallen lassen, bemerkte Lauri auch einen größeren und drohenderen, noch dampfenden Dunghaufen. Er verriet, dass dort noch einen Augenblick zuvor mindestens ein Büffel gewesen war. Lauri schaute zu den Seiten und hinter sich, konnte das Tier aber nirgends entdecken. Trotzdem wagte er nicht, sich zu entspannen, denn der afrikanische Büffel verstand sich darauf, sich in der Landschaft zu tarnen. Er war von heftigem, unberechenbarem Wesen und sehr gefährlich. Die Afrikaner fürchteten den Büffel mehr als jedes andere wilde Tier. Mehr als das Nilpferd und den Elefanten, ganz zu schweigen von den Löwen.
    Lauri richtete den Blick wieder auf die nahe Ansammlung von Flamingos. Die Landschaft war ihm vertraut. Er war hier schon oft gewesen. Links erkannte er in der Ferne die grau-, rot- und weißbunten Häuserreihen der Stadt. Dort schimmerten die Museumsgebäude von Hyrax Hill, und unmittelbar dahinter erhoben sich die sanft ansteigenden, mit Pyrethrum-Pflanzungen bedeckten Hänge einer großen Caldera.
    Bin ich wirklich am Nakuru-See?, fragte Lauri sich im Stillen. In Kenia? Dies muss der Nakuru sein, denn dort unten am See befinden sich bestimmt mehr als zwei Millionen Flamingos, und dies hier ist weder der Bogoria- noch der Natronsee.
    »Aber was mache ich hier?«, fragte er laut. »Eigentlich bin ich doch in New York?«
    Dies muss ein Traum sein, schloss er.
    Dann fiel sein Blick auf einen großen Findling. Er hatte das Gefühl, dass er den Stein nicht gesehen hatte, als er das letzte Mal in dieselbe Richtung geschaut hatte. Auf dem Stein saß eine einsame menschliche Gestalt.
    Lange, dunkle Haare, die sich in dem sanften Windhauch leise bewegten. Eine ungezügelte Locke fiel ihr ins Gesicht. Mokassins. Ein ärmelloses schwarzes T-Shirt. Abgewetzte Jeans mit ausgefransten Hosenbeinen und einem durchgescheuerten Knie.
    Lauris Herz schlug schneller. Er erkannte, wer dort auf dem Stein saß, obwohl das natürlich nicht sein konnte. Er hatte sich geirrt, es falsch gesehen.
    Lauri erhob sich und ging näher heran. Die Frau wandte den Kopf und sah ihn direkt an.
    Es schnürte Lauri die Kehle zu, und er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten, denn es konnte kein Irrtum sein. Auf dem großen Stein vor ihm saß Alice Kleiner Falke Donovan. Seine vor zwei Jahren verstorbene Frau.
    »Hallo, kleine Rothaut«, sagte Lauri.
    Alice antwortete nicht.
    »Schön, dich wiederzusehen«, sagte Lauri. »Mit dir zu sprechen. Ich hab dich so vermisst. Natürlich weiß ich, dass dies nur ein Traum ist, aber es ist trotzdem schön, dich zu sehen.«
    »Wie kannst du so sicher sein, dass es nur ein Traum ist?«, fragte Alice leise.
    Was könnte es sonst sein?, dachte Lauri. Alice deutete auf den See.
    »Du erinnerst dich doch? Wir sind hier schon einmal gewesen.«
    Alice sprang vom Stein herab und ging auf den lichten Akazienwald zu. Lauri folgte ihr.
    »Dieser Ort ist wichtig«, sagte Alice. »Das, was er uns lehren kann, ist wichtig.«
    »Was meinst
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