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Gott im Unglück

Gott im Unglück

Titel: Gott im Unglück
Autoren: A. Lee Martinez
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sich die schlaffen Haare weg, sodass Bonnie einen kurzen Blick auf das Gesicht der Göttin erhaschen konnte. Ihre großen, traurigen Augen waren ebenso farblos wie der Rest von ihr.
    »Nimm es zurück! Bitte, ich tue alles.«
    Ihre Beziehung mit Walter war gut gewesen, aber nichts Spektakuläres. Sie liebte ihn, aber nicht Hals über Kopf. Einfach schöne Zeiten und eine verlässliche, tröstliche Vertrautheit. Warum vermisste sie ihn also jetzt so sehr? Sie sehnte sich nach seiner Berührung, seinem Lächeln, dem unbeholfenen, aber kompetenten Sex. Sogar Dinge, die sie irgendwie nervtötend gefunden hatte, erschienen ihr in diesem Augenblick liebenswert.
    Sie unterdrückte ein Schluchzen. Ihre Lippe zitterte, doch sie schluckte den Schmerz herunter.
    »Das ist gut«, sagte die Göttin. »Vergrab ihn tief. So hältst du länger durch.« Sie seufzte, und ein Bilderrahmen mit Walters Foto, der in ihrer Nähe hing, bekam einen Sprung.
    »Würdest du bitte damit aufhören?«, fragte Bonnie. »Hör auf zu seufzen!«
    »Tut mir leid. Ich kann nicht anders. Und ich kann dir nicht helfen.«
    Bonnie schlug der Göttin das zweite Glas aus der Hand. Der Saft überzog Bonnies Schuhe, aber kein einziger Tropfen traf die Göttin. »Verschwinde aus meiner Wohnung, verdammt noch mal!«
    »Das kann ich nicht. Du hast mich in dein Leben eingeladen, und hier muss ich bleiben, bis …«
    Die Göttin seufzte, und Walters Foto ging in Flammen auf. Bonnie trat die Flammen aus, aber nicht schnell genug, um einen Brandfleck auf dem Teppich zu vermeiden. Der Verlust ihrer Kaution machte ihren Tag nicht freudvoller. »Was muss ich tun, um dich loszuwerden?«, fragte sie.
    »Du kannst nichts tun.« Die Göttin schwebte zur Couch und setzte sich.
    »Aber du sagtest gerade, du wärest in meinem Leben, bis …«
    Die Göttin schaltete den Fernseher ein. »Oh, sehr gut. Du hast Kabel. Die Letzte hatte keines.«
    »Lenk nicht vom Thema ab! Du sagtest, ich würde dich nicht loswerden, bis …« Bonnie hielt inne, um der Göttin die Gelegenheit zu geben, den Satz zu beenden, doch sie tat ihr den Gefallen nicht.
    » Harry und Sally kommt«, sagte die Göttin. »Ich hasse diesen Film. Das ist so tragisch, wenn sie bei diesem Autounfall sterben.«
    »Das passiert in dem Film doch überhaupt nicht«, sagte Bonnie.
    »Wenn ich ihn ansehe, schon.«
    Bonnie stellte sich vor den Fernseher und starrte die Göttin wütend an.
    »Dein Schmerz wird enden, Bonnie. Irgendwann. Mit der Gnade, die allen menschlichen Schmerz beendet.«
    »Der Tod? Willst du damit sagen, dass ich dich am Hals habe, bis ich sterbe?«
    Die Göttin zuckte mit den Achseln. »Es tut mir leid. Wenn es dir ein Trost ist: Für mich ist es noch schlimmer. Du bist nur ein Opfer des Herzeleids, aber ich bin seine Göttin.«
    »Warum tust du mir das an?«
    »Wie ich dir immer wieder sage – ich habe keine Wahl. Glaubst du denn, es macht mir Spaß, dein Leben zu ruinieren? Oder das von irgendeinem anderen? Ich war nicht immer so. Früher einmal war ich … anders. Aber das ist lange her. Jetzt bin ich, was ich bin, und ich bringe allen, die mich in ihr Leben lassen, nichts als Schmerz und Leid.«
    »Aber ich habe nur Hallo gesagt!«
    »Und du hast dich auf die Bank gesetzt.«
    »Das ist absurd. Willst du mir wirklich sagen, nur weil ich mich neben eine Göttin des Herzeleids auf eine Bank gesetzt habe, ist mein ganzes Leben ruiniert?«
    Die Göttin hätte beinahe geseufzt, fing sich diesmal aber rechtzeitig. »Ich weiß, es ist unfair. Du wolltest nur nett sein. Du solltest diese Bürde nicht tragen müssen, aber sieh es mal so: Indem du den Schmerz empfindest, ersparst du ihn einem anderen Menschen. Durch dein Opfer können andere Liebe und Freude kennenlernen. Es wird nicht vergeblich sein.«
    »Na, herzlichen Dank!«
    Bonnie stürmte in die Küche und trank Tomatensaft direkt aus der Packung. Er kleckerte über ihre Bluse. Das war ihr egal.
    »Nichts würde mich glücklicher machen, als dich in Ruhe zu lassen«, sagte die Göttin aus dem Wohnzimmer. »Na ja, etwas würde mich schon glücklicher machen, aber halten wir uns nicht mit Unmöglichkeiten auf.«
    Bonnie lehnte sich an den Kühlschrank. Die Leere in ihr würde bleiben, das wurde ihr jetzt klar. Eine gähnende, alles verzehrende Kälte, die sie schließlich von innen auffressen würde. Sie schnappte sich ein schmutziges Steakmesser aus der Spüle und hielt es so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
    Sie
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