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Gott im Unglück

Gott im Unglück

Titel: Gott im Unglück
Autoren: A. Lee Martinez
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Bank. Sie setzte sich. Ein Frösteln durchlief sie.
    »Das hätten Sie nicht tun sollen«, sagte die Frau kopfschüttelnd.
    »Wie bitte?«
    »Sie hätten sich nicht da hinsetzen sollen.«
    Die Frau seufzte tief, während ein eisiger Wind über die Bank fegte. Das Vogelgezwitscher wurde schrill. Dunkelheit verhüllte die Sonne, da fiel ein grauer Schatten über die Bushaltestelle – und zwar nur über die Bushaltestelle. Der Rest der Welt blieb genauso hell und warm wie vorher, aber die Miniatur-Sonnenfinsternis hüllte die Bushaltestelle in eine rohe, alles verzehrende Hoffnungslosigkeit. Es gab kein anderes Wort dafür.
    Die Dunkelheit verging wieder. Sie verklang weniger, sondern strömte vielmehr in den Boden und formte sich zum Schatten der Frau. Die Kälte verringerte sich, verschwand aber nicht. Bonnie sprang von der Bank auf und rieb die Hände aneinander.
    »Dafür ist es zu spät«, sagte die zerlumpte Frau.
    Bonnies Handy klingelte. Der Klingelton sagte ihr, dass es ihr Freund war.
    »Tut mir leid«, sagte die Frau.
    Bonnie klappte das Telefon auf. »Hallo, Walter. Du wirst nicht glauben, was mir gerade passiert …«
    Er machte mit ihr Schluss. Er war nicht grob, aber er heuchelte auch keine Höflichkeit. Sagte ihr nur, dass es vorbei sei und legte auf. Sie hatte keine Zeit, die Nachricht zu verdauen, ganz zu schweigen davon, eine Antwort zu formulieren. Sie versuchte fünf Mal, ihn zurückzurufen, aber er ging nicht ran.
    »Es tut mir leid«, sagte die Frau, »aber ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich da nicht hinsetzen.«
    »Nein, das haben Sie nicht.«
    »Nicht? Sind Sie sich da sicher? Ich weiß es nämlich ziemlich genau.«
    »Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie es nicht gesagt haben.«
    Bonnie wählte wieder die Nummer ihres Freundes, allerdings mit demselben Ergebnis. Sie hinterließ noch eine Nachricht.
    »Na ja, wenn Sie etwas zu mir gesagt hätten, bevor Sie sich gesetzt haben«, sagte die zerlumpte Frau, »dann hätte ich Sie vielleicht warnen können. Grüßen ist eine Frage der Höflichkeit.«
    »Ich habe Hallo gesagt.«
    »Haben Sie? Das zählt wohl, denke ich.«
    Bonnie wählte wieder, klappte das Telefon aber zu, bevor der Anruf durchging. »Ich habe auch eine Bemerkung über den Tag gemacht. Übers Wetter!«
    »Das stimmt wohl«, knurrte sie. »Allerdings klangen Sie nicht, als meinten Sie es ernst.«
    »Ich habe es auch nicht ernst gemeint.«
    »Dann geben Sie es also zu?«
    »Natürlich gebe ich es zu«, sagte Bonnie. »Es ging ums Wetter. Das bedeutet gar nichts. Es ist nur höfliche Konversation.«
    »Das gilt wohl in diesem neuen Zeitalter als Höflichkeit der Sterblichen.«
    Bonnie tigerte in einem kleinen Kreis herum und starrte ihr Telefon an, um es per Gedankenübertragung zum Klingeln zu bringen.
    »Er wird nicht anrufen«, sagte die ramponierte Frau. »Es ist einfacher, ihn loszulassen.«
    »Aber wir sind verliebt!«
    »Sie waren verliebt, und ich nehme an, Sie sind es immer noch. Jetzt sogar mehr als je zuvor. Aber er wird nie wieder mit Ihnen sprechen.«
    Eine mit Händen greifbare Qual ging von ihr aus, eine Welle eisiger Taubheit. Die Bank wurde grau. Ihre Farbe floss die Straße hinab und in einen Gully hinein. Bonnie spürte jedes Quäntchen der aufsteigenden Melancholie. Am liebsten wäre sie gestorben. Einfach zusammenbrechen und dahinwelken, bis sie nur noch Staub war. Dann hoffte sie, die Sonne würde explodieren und die ganze Erde vaporisieren, um auch den letzten Rest dieses Augenblicks aus der Erinnerung der Zeit zu radieren.
    Bonnie musste hier weg. Sie rannte in ihre Wohnung zurück, schloss die Tür hinter sich und wischte sich die Tränen ab. Die drückende Last der Verzweiflung hob sich, verschwand aber nicht. Nicht ganz jedenfalls.
    Jemand klapperte in der Kochnische herum. Sie wusste, wer es war, ohne hinsehen zu müssen.
    Die zerlumpte Göttin schwebte in ihr Blickfeld. Sie trug zwei Gläser Tomatensaft und bot Bonnie eines davon an. »Hier. Trink das. Es wird dein Problem zwar nicht lösen, aber es ist voller Vitamine.«
    Bonnie schlug ihr das Glas aus der Hand. Saft spritzte über den Teppich, die Couch, die Wand. »Das warst du! Du hast etwas mit Walter gemacht!«
    »Um genau zu sein, habe ich etwas mit dir gemacht«, sagte die Göttin. »Dein Freund war nur ein Kollateralschaden.« Die Göttin nippte an ihrem Saft, der einen roten Schnurrbart auf ihrer bleichen Haut hinterließ. »Und ich habe gesagt, dass es mir leidtut.«
    Sie strich
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