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Der Infekt

Der Infekt

Titel: Der Infekt
Autoren: Uwe A. O. Heinlein
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I. Viren
New Haven, Connecticut, USA
    W ie so oft in den letzten Monaten brannte auch an diesem Abend noch Licht im zehnten Stock des Kline Biology Tower. Langsam begann sich die Dämmerung auf das monumentale Institutsgebäude der Yale University zu senken und lenkte die Aufmerksamkeit des Auges auf einzelne helle Fensterflecken.
    Die Abteilung für Molekulare Genetik von Professor Walter Seitz belegte die neunte und zehnte Etage dieses steinernen wissenschaftlichen Bienenstocks. Hier arbeiteten Naturwissenschaftler aus aller Herren Länder. Der renommierte Name des Institutschefs und die daraus erwachsenen vielfältigen Verbindungen brachten seinem Department viele Bewerbungen aus allen Teilen der Welt, und so glichen die Labors tagsüber Schmelztiegeln verschiedener Nationalitäten und Kulturen.
    An diesem Abend arbeitete nur noch ein Mann im Hauptlabor. Im Moment stand Dr. Charles Kossoff allerdings gerade am Nordfenster des mit Geräten und Vorratskartons vollgestopften Raums und versuchte, die Frequenz des kleinen Milforder Privatsenders KC101FM klar einzustellen. Als ihm das einigermaßen zufriedenstellend gelungen war und Tina Turners Break Every Rule durchs Labor dröhnte, wandte er sich wieder seinem Experiment zu.
    Inmitten all der Unordnung, in der ein Außenstehender völlig die Orientierung verloren hätte, ergriff er die automatische Mikropipette, um die aus wenigen Mikrolitern bestehenden Reaktionsansätze in verschließbare Kunststoffphiolen zu füllen. Das größte Problem bei dieser Routinetätigkeit war das Öffnen der winzigen Plastikgefäße, die er in der linken Hand hielt, um mit der rechten die Automatikpipette bedienen zu können. Er hatte vierundvierzig Röhrchen in einem Spezialständer vor sich stehen, und da er die kleinen Deckel mit dem linken Daumen öffnen und schließen mußte, begann dieser nach einiger Zeit zu schmerzen. Kossoff versuchte, sich auf die verschiedenen Volumina zu konzentrieren, die er in die Gefäße zu füllen hatte, und nach etwa zehn Minuten atmete er erleichtert auf.
    »Gott sei Dank«, murmelte er leise vor sich hin und ergriff den Ständer aus Polypropylen, in dessen Bohrungen die Reagenzröhrchen steckten. Dann stand er auf und ging hinüber zu einem Kühlwasserbad, dessen Temperatur konstant auf 16 Grad Celsius gehalten wurde. Er überführte die kleinen Plastikgefäße in die Halterungen des Wasserbades und überlegte dabei, was er als nächstes zu erledigen hatte.
    Charles Kossoff arbeitete zur Zeit daran, verschiedene Abschnitte bestimmter DNA-Moleküle zusammenzufügen. Diese Träger der Erbinformation hatte er in mühsamer Kleinarbeit aus bestimmten Tierviren isoliert und gereinigt. Wenn man die Einzelinformationen aus verschiedenen Viren in bestimmter Weise zusammenhängte, war es möglich, sogenannte defekte Hybridviren zu erzeugen, infektiöse Partikel, die Mischwesen aus im Regelfall pathogenen, also krankheitserregenden, Viren darstellten, jedoch durch die molekularen Manipulationen nach der Infektion von Zellen kein Krankheitsbild mehr hervorriefen.
    Der Sinn dieser molekularbiologischen Generalstabsarbeit bestand darin, die defekten Mischviren zur passiven Immunisierung von Zuchttieren zu benutzen. Die Tiere würden daraufhin eine Immunreaktion gegen die verschiedenen Virusbestandteile einleiten und so gegen Erkrankungen geschützt sein, die normalerweise von den pathogenen Ausgangsviren ausgelöst wurden.
    Seit seiner Doktorarbeit beschäftigte sich Kossoff mit der molekularen Struktur der Erbinformationen, die verschiedene pathogene Viren mit sich herumtrugen. Die theoretischen und praktischen Erfahrungen, die er in den letzten sechs Jahren damit gemacht hatte, ließen ihn für dieses Projekt optimistisch in die Zukunft blicken, auch deshalb, weil es neben der zu erlangenden wissenschaftlichen Reputation durchaus auch pekuniäre Anreize gab. Produktion und Absatz solcher Impfseren bedeuteten für Bio- und Pharmaunternehmen in der Regel großen Gewinn.
    Aber dazu mußten erst einmal diese Versuche zu seiner Zufriedenheit ausfallen. Die Reagenzröhrchen im Kühlwasserbad enthielten jeweils zehn Mikroliter bestimmter Kombinationen von Virus-DNA-Abschnitten, die Kossoff mit Hilfe eines speziellen Proteins, der T4-DNA-Ligase, innerhalb der nächsten Stunde verknüpfen wollte. Um mit den entstehenden Produkten weiterarbeiten zu können, mußte er sie einzeln isolieren. Dazu blieb ihm keine andere Wahl, als die Moleküle der Größe nach zu sortieren,
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