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Schönesding!

Schönesding!

Titel: Schönesding!
Autoren: Peter Boehm
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* 1 *
     
    Blick aus dem Fenster. Links: zwei Zoll Beton vertikal - grau wie das Leben.
    In der Mitte: Ein Hof, eine Laterne, zwei Büsche, ein Stück Zaun, - braun wie das Land.
    Rechts davon: eine Ecke Rasen, jungfräulich, wartend, belebt nur am Wochenende - grün wie die Hoffnung.
    Wenn ich die Nase ganz tief ins Fensterbrett bohre, bis mir fast schwarz wird vor Augen: ein Streifen Berliner Himmel. Farbe: nasses Handtuch. Struktur: vorläufig, nicht greifbar, vielleicht löslich?
    Ein Blick nach unten: rostbrauner Fußboden, schwer zu begehen, schwer drauf zu stehen.
    Ein Schritt nach links: Wand in blassrosa.
    Ein Schritt nach rechts: dasselbe. Die Farbe ist so beruhigend, Mann! Die ist wirklich beruhigend.
    Ein Blick nach oben: Oh, du falber Zimmerhimmel. Trübe Wolke. Fluch am Morgen. Verheißung in der Nacht. Wie oft habe ich euch schon angestarrt, Bruder Neonröhre, Schwester Lampe? Na, sagt schon, könnt ihr mich noch ertragen?
    Geräusch: Das Klicken von Schlüsseln.
    Temperatur: fahl, feucht, stetig, aber auf keinen Fall zu warm.
    Geruch: Universalreiniger Mikronell Multi-Kraft . Der Geruch von nicht dein eigener Geruch. Der Geruch, der dich riechen lässt, dass du nicht mehr riechen musst. Der Geruch von mindestens einem, der nicht gelernt hat seine Körperfunktionen zu beherrschen. Der Geruch von Beamtenhaus, Krankenhaus, Irrenhaus.
    Was ich hier mache? Das wollen Sie wissen! Ich gehe durch die Hölle - wenn Sie es so genau wissen wollen. Das ist es, was ich hier mache.
    Und wieso?
    Wenn Sie es so genau wissen wollen: Das tue ich für Sie!
    Für mich?
    Ja, für Sie. Denn was Sie brauchen, das ist das Buch zum Film, glauben Sie mir. Wenn Sie kool werden wollen, brauchen Sie das auf jeden Fall. Glauben--Sie--mir!
    Denn das wird aus den Bändern: ein Film. Das ist so sicher wie das Röcheln in der Notaufnahme. Deshalb bin ich hier. Nur deshalb. Und wenn ich darüber irre werde.
    Ich will Ihr Berichterstatter sein. Ich--will--Ihr--Berichterstatter--sein. Scharf, sachlich, unbestechlich. Umfassend, wahrhaftig, leidenschaftslos. Dem nichts entgeht. Den nichts beschämt. Der nichts verschweigt.
    Wie der Film entstanden ist also, das wollen Sie wissen? Warum er entstanden ist? Warum er entstehen musste?
    Das alles muss ich Ihnen erklären, sonst verstehen Sie das sowieso nicht, sonst können Sie das nicht verstehen.
    Mein Gott, Scheiße, Mann, das glaubt mir ja sowieso keiner.

* 2 *
     
    Na gut, gehen wir zurück, fast vier Jahre. Fangen wir an, wo es angefangen hat. Wo ich angefangen habe. Berlin-Mitte. Der Mitte von Mitte. Münzstraße. Zwei Minuten zum Alex, drei zum Hackeschen Markt. Hier gab's kein Prada , oder Gucci und auch kein Louis Vitton , sondern GAS und American Apparel und Fred Perry . Aber trotzdem. Zusammen mit der Neuen Schönhauser, ihrem schrägen Anfang, war das die hippste Straße von Berlin.
    Von meinem Fenster hatte ich alles im Blick. Die Klamottenläden. Die Cafés. Die Schulklassen. Die Bummler. Die Touristen. Die Wichtigen. Wie sie noch im Juli, wenn sich ein kleines Eckchen Sonne durch die Wolken gekämpft hat, die Hälse zur Sonne drehten, als wären sie in Kitzbühel oder Gstaad.
    Hier, genau hier sogen sie ihn ein, den Duft der neuen Hauptstadt. Hier waren sie direkt am Draht zum wilden Berlin. Hier machten sie sich trunken am Takt der schnellen Metropole.
    Hier kamen sie her, aus Stuttgart und aus Paderborn, aus Barcelona und aus Tokio. Hier breiteten sie sie aus, ihre Stadtpläne. Hier kamen sie her, die Freundin plus Freund, die Freundin plus Freundin, die Mutter plus Tochter, mit ihren bunt bedruckten Tüten. Hier scharwenzelten sie herum um die langen Blonden, die hinter den Tresen lümmelten in den Klamottenläden und ihnen die Tüten vollstopften. Hier waren die Blonden immer lang und blond. Glauben Sie mir das. Selbst wenn sie kurz und braun waren.
    Hier waberte er nachts durch, der internationale Berliner Partyschaum. Und am Morgen standen hier seine leeren Flaschen, wenn es sich ausgeschäumt hatte.
    Auch das passierte hier: Die Demo gegen das Kapital, das Patriarchat, die Kriegshetzer, den Bullenstaat, hier musste sie vorbei.
    Weil: Hier machte man Ihnen nichts vor. Hier kriegte jeder, was er braucht. Hier war für jeden was dabei. Und: Man sah's nicht gleich auf den ersten Blick, aber diese Straße hatte auch ihre charmante Seite. Auf ihre eigene Art. Alle paar Wochen, immer am Samstag Nachmittag, drehte hier einer seine Runden mit seinem Fahrrad und schrie aus vollem
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