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Goldmarie auf Wolke 7

Goldmarie auf Wolke 7

Titel: Goldmarie auf Wolke 7
Autoren: Gabriella Engelmann
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bin zwar nicht so gut im Handarbeiten, aber er ist mit all der Liebe gemacht, die ich für dich in meinem Herzen trage. Dein Dylan.
    Erst gefühlte Lichtjahre später war ich fähig, aufzustehen und meinen Chai Latte zu bezahlen, der mittlerweile kalt geworden war.
    Als ich die Haustür aufschloss, empfing mich Lykke mit einem Paket. Nanu? Noch ein Geschenk? Weihnachten war doch schon längst vorbei. Dass kein Absender draufstand, machte mich noch neugieriger, als ich es ohnehin schon war. Ich öffnete das Päckchen, in dem sich ein handgeschriebener Brief sowie ein Stofftierhase befanden, der aussah, als sei er einmal sehr geliebt worden. Das Fell war leicht angegraut und platt gedrückt, das eine Ohr mit der Hand wieder angenäht. Mit zitternden Händen faltete ich den Briefbogen auseinander, den Roxy geschrieben hatte. Der Hase war mein heiß geliebtes Möhrchen, das ich zu meiner Geburt bekommen und bis zu meinem zweiten Lebensjahr ständig mit mir herumgeschleppt hatte. So lange, bis ich ein Stoffschaf namens Emmi geschenkt bekam und sich Emmi und Möhrchen von da an meine Liebe teilen mussten.
    Meine geliebte Tochter,
    ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich den schriftlichen Weg wähle, um dir zu erklären, was ich dir sehr viel lieber persönlich gesagt hätte. Wo soll ich mit dem Versuch einer Erklärung für meine Gründe beginnen, wenn es eigentlich nichts anderes zu sagen gibt, als dass ich zu jener Zeit verblendet und weder Herrin meiner Sinne noch meiner Gefühle war?
    Und dass mir das alles unendlich leidtut.
    Wie du weißt, war dein Vater meine erste große Liebe und ich war der glücklichste Mensch auf Erden, als wir dich bekommen haben. Doch irgendwann begann ich, mich in der Rolle der Frau an der Seite des begnadeten Künstlers allein zu fühlen und ein Stück weit auch wertlos. Dein Vater gab Konzerte, ging auf Tourneen, nahm Alben auf – und ich saß daheim mit dir. Anfangs versuchte ich, mir zu sagen, dass das nur eine Phase sei, dass du irgendwann auch älter würdest. Dass ich auch nebenbei versuchen konnte, meine eigenen Projekte zu verfolgen und darüber Selbstbestätigung zu bekommen. Ich habe immer gern genäht (auch wenn mein Versuch, dem Möhrchen das Ohr zu erneuern, ein wenig dilettantisch ausgefallen ist) und es geliebt, Dinge zu arrangieren, Wände zu streichen, die Wohnung zu renovieren.
    Eines Tages begegnete ich im Baumarkt durch Zufall einem Mann, mit dem ich ins Gespräch kam. Er war Mentaltrainer, beziehungsweise Coach, spezialisiert auf scheinbar so »hoffnungslose« Fälle wie mich. Er lud mich zu einem Workshop ein, der mir sehr gefiel, und bot mir im Anschluss kostenlose Einzelstunden an. Dieser Punkt hätte mich natürlich stutzig machen müssen, aber N. (Ich möchte seinen vollen Namen lieber nicht nennen) hatte so eine einschmeichelnde Art, dass ich seine Zuwendung genoss, ohne die Motive weiter zu hinterfragen.
    Ich besuchte ein Seminar nach dem anderen und begann, mich immer besser zu fühlen. Doch in gleichem Maß, wie ich mich zu N. hingezogen fühlte, begann ich, mich von deinem Vater innerlich zu entfernen. Wir stritten uns immer häufiger. Er traute dem Coach nicht, zurecht, wie ich heute weiß. Um es kurz zu machen: Irgendwann hatte mich N. so weit, dass ich mit ihm nach Indien in ein Ashram ging, um dort durch Meditation weiter zu mir und meiner Mitte zu finden. Weil ich wusste, dass Claas dagegen war, beschloss ich, einfach zu fahren, ohne mit ihm darüber zu sprechen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich wie in Trance gehandelt und meine echten Gefühle zu deinem Vater – und vor allem zu dir – ausgeschaltet habe. Als einzige Erinnerung an euch habe ich ein Foto und dein Möhrchen mitgenommen.
    Kaum war ich in Indien, wurde ich immer mehr in den Sog des sogenannten Selbstverwirklichungsprozesses gezogen –und irgendwann gab es einfach kein Zurück mehr. N. und ich reisten quer durch die Welt, und wann immer ich das Gefühl hatte, dass es mir im Prinzip schlechter ging als zuvor, hielt N. mir einen weiteren Kurs oder ein weiteres neues Land als Ziel vor Augen. Wenn ich nur DAS noch erreichen würde, so sagte er, dann würde ich für immer glücklich sein.
    Im November letzten Jahres wurde ich sehr krank. Bei dem Gedanken daran, dich womöglich nie wiederzusehen, bekam ich auf einmal eine fürchterliche Angst. Ich rief meine beste Freundin Clara an, die natürlich mehr als erstaunt war, wieder von mir zu hören, und die mir erzählte, dass Claas
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