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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber
Autoren: Andreas Gößling
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der sein gezacktes Messer erneut auf die liegende Gestalt hinabstößt. Der »Dröhnende« reißt ihn zurück – und schreit vor Abscheu auf. Der Priester ist von Kopf bis Fuß mit Blut verschmiert. Seine Haare starren vor Blut, sein Umhang, seine Arme.
    »Du stinkendes Stück Teufelsdreck!«, schreit Portocarrero. »Diese verfluchten Höllenpriester baden in Blut!«
    Die Konquistadoren werfen die Indianer zu Boden, drücken ihnen die Schwertspitze gegen Brust oder Kehle. Das Messer fällt klirrend hin und zerspringt – seine schwarze, gezackte Klinge ist anscheinend aus Stein. Auch die Trommeln und Knochenflöten werden von den Stiefeln der Konquistadoren zertreten. Stockstarr liegen die Indianer da und schauen aus großen Augen zu ihren Bezwingern hoch.
    Der Kampf ist zu Ende, bevor er überhaupt begonnen hat. Doch für die Gestalt auf dem Opferstein kommt unser Sieg offenbar zu spät. Es ist ein muskulöser Mann, stämmig gebaut und nur mit einem Hüfttuch bekleidet, und er liegt so reglos da, wie das nur Tote fertigbringen. Seine Augen sind geschlossen, seine linke Brustseite ist blutüberströmt. Soweit ich das sehen kann, ist sein ganzer Körper mit Tätowierungen bedeckt – ein gelbbraunes, gleichförmiges Muster wie auf Schildkrötenhaut. Seine Haare sind kurz geschoren, sein Gesicht ist hager und seltsam ausdruckslos.
    Cortés erklimmt die Stufen und tritt neben den Opferstein. Suchend schaut er sich um und winkt dann Alvarado und Portocarrero zu sich.
    »Pedro, Alonso«, sagt er, »nehmt jeder fünfzig Mann und sucht das Gelände ab! Allerdings glaube ich nicht, dass ihr hier noch irgendwen finden werdet. Diesmal waren wir zu schnell für sie – die restliche Teufelsbande wird die Flucht ergriffen haben, als ihnen klar wurde, dass ihre Priester das hier nicht zu Ende bringen würden.«
    Alvarado beugt sich über den Opferstein. Mit Daumen und Zeigefinger zieht er dem anscheinend toten Mann die Augenlider auseinander und richtet sich wieder auf.
    »Wenn du mich fragst, in dem Burschen ist kein Funken Leben mehr«, sagt er zu Cortés. »Aber du hast recht – wir haben sie gestört, bevor sie ihn auf jene Weise hinschlachten konnten, die der Satan von ihnen fordert.«
    Diego und ich wechseln einen Blick. »Auf jene Weise« – wir beide wissen, was Alvarado damit meint. Während der Überfahrt von Kuba haben einige der Männer, die schon mit Grijalva hier waren, mehr als einmal von den Opferriten erzählt. Rasch schüttele ich den Kopf, bevor Diego irgendwelche grässlichen Einzelheiten erwähnen kann, wie er das nur allzu gerne macht. Schon um mir zu beweisen, dass er weder Angst noch Abscheu kennt.
    Alvarado und Portocarrero stellen Suchtrupps zusammen und durchforsten das Tempelgelände. Währenddessen schaut sich Cortés aufs Neue suchend um. Diesmal winkt er den Notar Gutierrez und den Fahnenträger herbei.
    »Dich brauche ich auch, Orteguilla«, fügt er in meine Richtung gewandt hinzu. »Und bring Melchorejo mit.«
    Die Stufen hinauf zur Plattform sind mit schwarz-roter Schmiere überzogen. Blut, vermischt mit Regenwasser und Schlamm. Melchorejo taumelt neben mir die Treppe empor. Seine Augen schielen so sehr, dass er alles verschwommen und zugleich zweifach sieht. Melchorejo ist eigentlich Fischer, ein kaffeebrauner Indianer von vielleicht fünfundzwanzig Jahren. Letztes Jahr hat ihn Grijalva an der Küste von Yucatan gefangen und als Dolmetscher mitgenommen. Bei den Indianern werden die Schielenden angeblich als »Seher« verehrt, die in die Götter- und Geisterwelt hinüberspähen können. Jedenfalls hat Melchorejo mir das an Bord der Santa Maria erzählt – oder zumindest habe ich ihn so verstanden. Sein Spanisch ist allerdings so miserabel, dass eigentlich kaum etwas zu verstehen ist. Umgekehrt scheint er auch vondem, was man auf Spanisch zu ihm sagt, so gut wie nichts aufzufassen. Aber einen anderen Dolmetscher haben wir leider nicht, und deshalb hat mich Cortés beauftragt, jeden Tag wenigstens eine halbe Stunde mit Melchorejo Spanisch zu reden.
    »Nur Mut«, sage ich zu ihm und deute mit dem Kopf zu Pedro Gutierrez, der vor uns die Treppe hinaufstakst.
    Der Notar Gutierrez ist mehr als sechs Fuß groß und hager wie ein Skelett. Er bewegt sich so vorsichtig, als ob seine überlangen Gliedmaßen aus morschem Holz wären und jederzeit zerbrechen könnten. Er trägt einen knöchellangen schwarzen Umhang und unter dem Arm ein großes Buch mit dem königlichen Wappen darauf.
    Melchorejo schielt
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