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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber
Autoren: Andreas Gößling
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hören, wie Donner bei einem Gewitter, das sich langsam verzieht.
    Währenddessen schafft der narbenreiche Guerrero mit etlichen weiteren Konquistadoren Unmengen an Götzenbildern aus dem finsteren Tempel ins Freie. Einige Bildsäulen sind so gewaltig groß, dass die Männer sie zu zweit aus dem Tempel schleppen müssen. Abscheulichere und zugleich kunstvoller geschnitzte Statuen habe ich niemals vorher gesehen. Einer der Götzen gleicht einer sich windenden Schlange, die mit bunten Vogelfedern geschmückt ist. Ein weiterer hat eine Nase wie eine sich aufbäumende Viper, und jede einzelne dieser Fratzen stiert so düster und bedrohlich, dass es mich bei ihrem Anblick kalt überläuft.
    Unsere Männer werfen die bunten Schnitzereien die Stufen hinab und die gefangenen Indianer sehen ihnen mit ausdruckslosen Gesichtern zu. Sie protestieren nicht einmal, als Gonzalo de Guerrero die zertrümmerten Bildnisse zu einem Haufen aufschichten lässt und mit einer Fackel in Brand setzt.
    Sehr viel mehr als die Zerstörung ihrer alten Götzenbilder interessiert sie offenbar, welches neue Heiligtum unter Jesus Mendozas geschickten Händen entsteht. Oben auf der Plattform, zwischen dem Tempel und den gefangenen Indianern, steht der Zimmerer über den Altar gebeugt und prüft die Glätte der Platte, indem er mit einer Hand darüber reibt. Sein Kopf ist zur Seite geneigt, so als lauschte er dem seidigen Klang, den das Reiben auf den Brettern hervorruft.
    Cortés steht ein paar Schritte neben ihm, an seiner Seite Melchorejo. Er befragt die gefangenen Götzenpriester, und obwohl seine Stimme vollkommen beherrscht klingt, spüre ich, dass er seine Ungeduld nur mühsam bezähmt. Der arme Melchorejostottert irgendetwas, einmal auf Chontal, dann wieder auf Spanisch – und bestimmt ist weder das eine noch das andere auch nur halbwegs zu verstehen. Wonach Cortés die Priester auch fragen mag – nach ihrem Glauben, ihren Gebräuchen und gewiss auch nach Gold –, er wird aus den Antworten so wenig schlau werden wie die Indianer aus Melchorejos Fragen.
    So ruhen also alle Hoffnungen auf dem Geretteten, der wundersamerweise fließend Spanisch spricht, obwohl er wie ein Maya aussieht. Aber er liegt weiterhin reglos neben mir, und nur das fast unmerkliche Heben und Senken seines Brustkorbs verrät mir, dass er noch atmet.
    Wer bist du?, befrage ich ihn im Stillen, doch der Gerettete antwortet mir nicht. Meine Gedanken schweifen aufs Neue ab, und bald bin ich bei der Frage, zu der mich über kurz oder lang fast alles führt: Wer bin eigentlich ich? Bin ich wirklich derjenige, den Cortés in mir sieht? Warum sollte irgendjemand gerade mir sein Herz ausschütten – obwohl schon mein eigenes Herz mir oft so unergründlich scheint? Wieso liege ich so häufig halbe Nächte wach und beklage mein Schicksal, das mich gezwungen hat, meine geliebte Heimat zu verlassen? Dasselbe Schicksal hat mich doch zu Hernán Cortés geführt und auf diese abenteuerliche Lebensbahn gebracht, von der ich schon als Knabe träumte!
    Ich starre den Geretteten an, doch ich nehme ihn nicht mehr wahr. In Momenten wie diesen sehe ich nur noch mich selbst.
    Schon richtig, sage ich mir, von diesem abenteuerlichen Leben hast du immer geträumt! Aber warum hast du davon geträumt? Weil du wusstest, schon als kleiner Knabe wusstest, dass zu Hause, auf dem Hof deines Vaters, für dich kein Platz vorgesehen war! Und deshalb ist es ebenso wahr, dass ich zuweilen, in dunklen Stunden, meinen Bruder Leonel verfluche. Ich hasse mich dafür, ich verachte mich, ich bereue und gelobe Besserung – aber es hilft alles nichts! Beim nächsten Mal, wenn mich jenes dunkle Rasen wieder überkommt, ergeht es mir genauso.
    Dabei sind Sitte und Gesetz ganz und gar auf seiner Seite. Leonel ist der Zweitgeborene und ich bin nur der Dritte. Aber zugleich ist er mein Zwilling – und gerade einmal zehn Minuten älter als ich! Wäre ich als Erster von uns beiden zur Welt gekommen, so würde jetzt ich in Sevilla auf der Universität studieren – und Leonel säße in irgendeinem gottverlassenen Winkel und würde mit den Zähnen knirschen!
    Mir wird bewusst, dass ich tatsächlich mit den Zähnen knirsche, und beschämt fahre ich mir mit der Hand über das Gesicht. Erneut richte ich meine Aufmerksamkeit auf den Geretteten und versuche, sein Geheimnis zu ergründen.
    Er spricht Spanisch wie ein Mann, der in Sevilla oder Medellín aufgewachsen ist, sage ich mir – doch seinem Äußeren nach ist er ein
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