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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber
Autoren: Andreas Gößling
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eingeschüchtert zu Gutierrez empor und gleichzeitig zu mir herüber. Wir beide wissen, dass er von den feierlichen Sätzen, die Gutierrez gleich vorlesen wird, höchstens einen Bruchteil versteht. Aber natürlich wird er alles so gut, wie er es hinbekommt, in die Sprache der Indianer übersetzen.
    Die Sprache heißt Chontal , falls ich Melchorejo richtig verstanden habe. Und die Indianer dieser Gegend nennen sich Maya – die Eingeborenen unten in Yucatan genauso wie die Bewohner dieser Insel, die Grijalva auf den Namen Don Juan getauft hat. Laut Melchorejo ist es allerdings keine Insel, sondern der Ausläufer einer großen, geschlossenen Landmasse, die sich bis weit nach Norden und Westen erstreckt. Aber das kann eigentlich nicht sein. Auf den Landkarten, die Cortés eigens für unsere Reise hat zeichnen lassen, gibt es in dieser Weltgegend nur den Ozean mit einer unbestimmten Anzahl von Inseln darin. Das indische Festland muss ein gutes Stück weiter westlich liegen. Doch Melchorejos Spanisch ist wirklich ungeheuer schlecht und bestimmt habe ich ihn wieder einmal falsch verstanden. Noch immer kann er nur ein paar Dutzend Brocken Spanisch, und manchmal befürchte ich, dass es auch mit seinen Kenntnissen des Chontal nicht viel weiter her ist.
    Unterdessen hat unser Fahnenträger das flache Tempeldach erklommen und unsere heimatliche Flagge gehisst. Zusammengedrängt kauern die gefangenen Indianer auf der Plattform, von zwei Dutzend Konquistadoren mit gezogenen Schwertern bewacht. Auch Diego hat sich irgendwie zu ihnen durchgeschlagen und hält einen der Opferpriester, die vorhin auf Flöten gepfiffen oder im Chor gesungen haben, mit seinem Kurzschwert in Schach.
    »Gonzalo, du eilst mit dreißig Mann zurück zur Küste«, sagt Cortés zu Sandoval, gerade als der Notar, Melchorejo und ich oben auf der Plattform angekommen sind. »Bringt einen Zimmerer her und genügend Balken und Bretter für einen Altar.«
    Sandoval schaut Cortés verständnislos an. Sein Mund öffnet sich, aber was immer er einwenden wollte, bleibt ungesagt. So tollkühn, Cortés offen zu widersprechen, ist nicht einmal er.
    »Und bringt Weihrauch, eine Glocke und eine Madonnenfigur mit«, fügt Cortés hinzu.
    Sandoval nickt, wendet sich ab und ruft einige Männer zu sich. Nur ein paar Augenblicke später eilt er mit einer Schar Konquistadoren auf der Straße zurück in Richtung Meer.
    Aber dann brauchen wir auch einen Pater!, denke ich und schaue Cortés eindringlich an. Wenn er hier einen Altar errichten will, dann benötigt er einen christlichen Priester, der diesen Tempel von allem Teuflischen reinigt und feierlich der Muttergottes weiht!
    Cortés scheint meinen Blick bemerkt zu haben – ganz kurz wendet er sich zu mir um und nickt mir mit kaum merklichem Lächeln zu. Im nächsten Moment dreht er sich wieder zu Gutierrez. »Das Requerimiento «, sagt er, »die königliche Erklärung.«
    Notar Gutierrez sieht sich unbehaglich um. Offenbar ist ihm klar geworden, dass er sich an diesem Ort nirgendwo niederlassen kann, ohne seine Robe mit frischem oder geronnenem Blut zu beflecken. Also bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Requerimiento im Stehen zu verlesen. Er macht einen halben Schritt rückwärts, aber auch das hilft ihm wenig: Der Tempelbau ist zu flach, um seiner hoch aufgeschossenen Gestalt ausreichend Schatten zu bieten.
    Fast senkrecht brennt die Sonne auf die Plattform herab und der Gestank nach Blut ist kaum zu ertragen. Unmittelbar vor Melchorejos und meinen Knien liegt der Geopferte auf dem Stein. Obwohl seine Augen geschlossen sind, habe ich den beklemmenden Eindruck, dass er mich durch seine Lider hindurch anstarrt. Doch das kann eigentlich nicht sein – schon weil auch seine Lider mit diesem eigenartigen Schildkrötenmuster tätowiert sind.
    »Im Namen Gottes, Unseres himmlischen Herrn, und Seines Stellvertreters auf Erden, des Heiligen Vaters Papst Leo X., erklären Wir, König Karl I. von Spanien, hiermit, dass ihr, die natürlichen Einwohner der Insel San Juan, nach himmlischem Ratschluss allesamt Unsere Vasallen seid und Uns für alle Zeiten Tribut und Gehorsam schuldet . «
    Der Notar unterbricht sich und sieht Melchorejo auffordernd an. Der Dolmetscher schielt zu Tode erschrocken in alle erdenklichen Richtungen und dann mit seinem linken Auge flehend zu mir.
    »Du schaffst das«, murmele ich und nicke ihm ermutigend zu.
    Melchorejo ist einen halben Kopf kleiner als ich und seine Schultern sind schmaler als Diegos.
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