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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber
Autoren: Andreas Gößling
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die Wassermassen vom Himmel und abseits des Weges hat sich der Boden längst in Schlamm verwandelt. Doch die Straße ist zur Mitte hin gewölbt und so laufen die Fluten gurgelnd nach beiden Seiten ab. Daher kommen wir weiter rasch voran, auch wenn im Nebel kaum mehr zu sehen ist, wohin der stürmische Marsch uns führt.
    Irgendwo vor uns im Wald sind nun auch wieder Trommeln zu hören, dazu schrilles Pfeifen wie von Muschel- oder Knochenflöten. Ein Mann ruft irgendetwas in beschwörendem Tonfall und eine Vielzahl dumpfer Stimmen antwortet ihm im Chor.
    Der Teufelstempel!, denke ich. Er muss irgendwo da vor uns im Nebel sein! Ich werfe Diego einen Blick zu und er schaut mich ausblitzenden Augen an. Bei allen Heiligen der Christenheit, durchfährt es mich – Diego hat mich nicht angelogen! Sein Mund ist halb geöffnet, als hätte er Mühe, das Jauchzen zurückzuhalten, das ihm in der Kehle sitzt. Was immer uns da vorne erwarten mag – er hat keine Angst davor, ja er kann es kaum erwarten, sich ins Getümmel zu stürzen!
    Wir rennen und keuchen, Wasser platscht auf uns nieder, und im nächsten Moment hört das Unwetter urplötzlich auf. So maßlos, wie eben noch der Regen geströmt ist, flutet Sonnenlicht herab. Geblendet schaue ich um mich. Die Straße hat sich zu einem gigantischen Platz geweitet, auf dem unzählige kolossale Bauten stehen. Die meisten von ihnen scheinen Ruinen zu sein – gewaltige Flachbauten mit eingestürzter Säulendecke oder Pyramiden, deren Treppen und Firste von Bäumen und Buschwerk überwuchert und teilweise zersprengt sind.
    Unser Fahnenträger hebt erneut sein Horn an die Lippen und lässt die Fanfare erklingen. Beim Anblick des gewaltigen Tempelplatzes waren wir langsamer geworden, doch nun setzen wir erneut zum Sturmlauf an. Vielleicht zwanzig Schritte vor uns, am Ende einer Allee aus baumartigen Steinskulpturen, erhebt sich ganz genau so eine Plattform wie weiter vorne im Wald. Mit einem würfelförmigen Tempel darauf, zu dem wuchtige Stufen hochführen, und einem Säulenportal – doch im Unterschied zu dem Heiligtum, das Grijalvas Männer verwüstet haben, ist der Tempel da vorne offenbar noch in Gebrauch.
    Im Rennen erkenne ich eine Gestalt, die mit weit ausgebreiteten Armen vor dem Tempelportal steht – anscheinend ist es der Zauberpriester, der jene rituellen Beschwörungen hervorbringt. Auf den Stufen kauern wenigstens zwei Dutzend weitere Gestalten – einige von ihnen blasen in Knochenflöten, andere schlagen auf Trommeln und antworten in dumpfem Chor auf die Anrufungen des Priesters.
    Auf einem lang gestreckten Stein zu seinen Füßen aber liegteine weitere Figur. Ungewiss, ob lebendig oder tot, ob Steinskulptur oder ein Mensch aus Fleisch und Blut. Die Figur liegt auf dem Rücken, vollkommen reglos, und nun reißt der Priester seine Rechte mit einem langen, gezackten Messer in die Höhe und stößt es auf den Liegenden hinab!
    Im grellen Licht der Mittagssonne kann ich einen Moment lang die zahnartigen Zacken an der Klinge ganz genau sehen. Wie mit der Tuschfeder gezeichnet, so überdeutlich, wie man nur in solchen Augenblicken alles wahrnimmt – in den Augenblicken äußerster Gefahr. Wenn alles in dir schreit vor Angst, aber du gleichzeitig weißt, dass dein Wille stärker ist. Dass du deiner Angst keinesfalls nachgeben wirst, dass du weiter voranstürmen wirst, was auch passieren mag – und dadurch, nur dadurch wird das angstvolle Schreien in dir zu brausendem Jubel.
    Ja, denke ich, ganz genau so ist das bei mir, wenn ich mich in ein Wagnis stürze! Ich muss es mir merken, damit ich es nachher Diego erklären kann – und nicht nur wegen Diego, sondern mehr noch, weil mich Cortés beauftragt hat, die Regungen des Herzens zu ergründen.
    Wir stürmen auf den Teufelstempel zu, zwischen den steinernen Alleebäumen, die mit schreiend bunten Fratzen und Bildzeichen bedeckt sind.
    »Angriff!«, ruft Cortés. »Ich will sie lebend – alle!«
- 5 -
    Die Kompanien von Alvarado und Portocarrero teilen sich auf und umstellen blitzschnell die Plattform mit dem Tempel. Auf ein Zeichen von Cortés stürmen fünfzig Konquistadoren die Stufen hoch – in voller Rüstung, mit gezücktem Schwert.
    Diego will sich unter sie mischen, sein Kurzschwert in der Hand, doch Gonzalo de Sandoval hält ihn lachend zurück. »Du Milchbart!«, schreit er. »Kannst es wohl nicht erwarten?«
    Währenddessen ist Portocarrero schon oben auf der Plattform.Er stürzt sich auf den Priester, gerade als
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