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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber
Autoren: Andreas Gößling
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Affenschreie mehr, keine Vögel. So als ob der ganze Urwald urplötzlich den Atem anhalten würde.
    »Und, Orteguilla«, flüstert mir Diego zu, »bist du jetzt auch ›verängstigt‹ – wie damals Grijalva?«
    Ich grinse ihn nur an. Eigentlich kann ich Diego ziemlichgut leiden – wie einen jüngeren Bruder. Aber die können einem manchmal auch auf die Nerven gehen.
    Erst vor ein paar Tagen habe ich ja versucht, ihm zu erklären, was es meiner Ansicht nach mit der Angst auf sich hat. Dass wir uns niemals wacher, nie lebendiger fühlen als in Momenten großer Gefahr – das verdanken wir doch einzig unserer Angst! Sie ist es, die alle unsere Sinne wie Kampfdolche schärft. Nur durch sie scheint die Sonne strahlender, das Himmelsblau leuchtender, jeder Laut um uns herum tausendfach intensiver als im gewöhnlichen Alltag – durch unsere Angst! Sie ist die Feder in unserem Innersten, die uns bis zum Zerreißen spannt. Ohne unsere Angst würden wir nicht einmal richtig bemerken, welches Abenteuer wir gerade erleben!
    So habe ich auf Diego eingeredet, aber er hat mich nur mit großen Augen angeschaut. »Bei mir ist das anders«, hat er gesagt. Doch als ich von ihm wissen wollte, wie anders, da zuckte er wieder nur mit den Schultern.
    Während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, berät sich Cortés mit dem »Tollkühnen« und dem »Durchtriebenen«. »Den Tempel hier haben sie aufgegeben«, erklärt er ihnen. »Also müssen wir ihnen dorthin folgen, wo sie jetzt ihre Teufelsmessen abhalten. Dort werden wir wiederum alle Götzenbilder zerstören. Aber dabei lassen wir es nicht bewenden.«
    Ohne diesen dunklen Zusatz zu erläutern, befiehlt er uns, weiter vorzurücken. Die Männer rappeln sich auf und wir setzen uns aufs Neue in Bewegung. Schnurgerade zieht sich der Weg tiefer in den Wald hinein. Nach einigen weiteren Hundert Schritten geht er in eine befestigte Dammstraße über.
    Verwundert schauen wir uns um. Als Straßenbelag verwenden die Indianer keine einzelnen Steine, wie es in unserer Heimat üblich ist, sondern eine Art gehärteten Stuck, der den Weg mit einer fugenlos glatten Schicht überzieht.
    »Ihre Kultur ist offenbar höher entwickelt als die der Eingeborenenauf Kuba«, erklärt Cortés. »Und doch sind auch sie Götzenanbeter, denen ihr Teufelsglaube ausgetrieben werden muss.«
    Sandoval und Alvarado bekunden murmelnd ihre Zustimmung.
    »Alles, was sie können und besitzen«, fährt unser Anführer fort, »verdanken sie allein dem Teufel. Deshalb genügt es nicht, dass wir nur ihre Götzenbilder zerstören. Wir müssen auch alle heidnischen Blendwerke, die sie aus Gold gefertigt haben, an uns bringen und einschmelzen – nur so können wir sie aus dieser Hölle befreien.«
    »So ist es«, murmeln die beiden Männer wie aus einem Mund.
    Im nächsten Moment bricht um uns herum wahrhaftig die Hölle los.
    Trommeln dröhnen, Pfiffe, spitz wie Vogelkrallen, fahren uns in die Ohren. Dazu ertönen Schreie, Jaulen und Geheule wie aus Tausend Kehlen – ein markerschütterndes Getöse, sodass wir alle wie gelähmt stehen bleiben und mit schreckgeweiteten Augen um uns schauen. Die Straße hinauf und hinunter und ins Dickicht links und rechts, aber nirgendwo sind Indianer zu sehen. Sie schreien und trommeln und trillern, und an der Art, wie Alvarado bedeutungsvoll in Cortés’ Richtung nickt, kann ich mir leicht zusammenreimen, was er sagen will: Genauso haben sie es auch gemacht, als er mit Grijalva hier war. Und natürlich glauben sie, dass wir genauso erschrocken zur Küste zurückrennen werden wie damals Grijalva und seine Leute.
    Aber Cortés ist nicht der Mann, der sich durch Trommeln und Geheule in die Flucht schlagen lässt. Mit einem Satz springt er auf einen Felsbrocken am Wegrand und hebt beide Hände. Sein Gesicht ist so blass, seine Miene so gefasst, ja starr wie nahezu immer.
    »Die Schilde hoch, die Reihen dicht!«, schreit er gegen das höllische Lärmen an. »Wir marschieren weiter!«
    Diego und ich wechseln einen Blick. Er ruft mir etwas zu, aber ich sehe nur seinen Mund, der auf- und zugeht – zu verstehen ist überhaupt nichts.
    Stumm stolpern wir hinter Cortés und Alvarado her. Der hat mittlerweile ein Dutzend Konquistadoren herbeigewunken, um unseren Tross nach vorne abzusichern. Gegen ihre Rüstungen und Schilde können die Indianer mit Pfeilen und Speeren wenig ausrichten. Wohl deshalb versuchen sie gar nicht erst, uns den Weg abzuschneiden – dabei müssen sie zu Hunderten sein.
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