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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber
Autoren: Andreas Gößling
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Neben den Konquistadoren in ihren Eisenrüstungen sehen die meisten Indianer aus wie halbwüchsige Knaben.
    Melchorejo stottert irgendetwas und verstummt gleich wieder. Was immer er gesagt hat, es war viel zu kurz, um den feierlichen Wortschwall von Gutierrez auch nur einigermaßen vollständig wiederzugeben.
    »Weiter, Melchorejo«, murmele ich.
    Er schielt erneut in alle Richtungen und stottert dann das Gleiche noch einmal hervor. Jedenfalls hat es sich für meine Ohrengenauso angehört. Die gefangenen Indianer starren ihn fassungslos an.
    Währenddessen hat der Notar begonnen, den nächsten Absatz des Requerimiento vorzutragen. Cortés und die Konquistadoren hören mit andächtigen Gesichtern zu, während Gutierrez den Indianern erklärt, was vor mehr als eintausendfünfhundert Jahren in einem Stall zu Bethlehem geschehen ist. In feierlichen Sätzen trägt er die gesamte Geschichte der Christenheit vor, von der Geburt Jesu bis zum heutigen Tag. Nach jedem Absatz legt er eine Pause ein und schaut Melchorejo erwartungsvoll an.
    Melchorejo gibt sich jedes Mal redlich Mühe, doch die Gesichter der gefangenen Indianer drücken vollkommene Ratlosigkeit aus.
    »Und aus allen diesen und einigen weiteren Gründen« , erklärt Notar Gutierrez schließlich, »hat der Heilige Vater Uns, dem spanischen König, diese Inseln auf immer und ewig zu eigen gegeben. Als Gegenleistung haben Wir Uns verpflichtet, euch, die natürlichen Einwohner der Inseln Yucatan und Don Juan, zum Christentum zu bekehren. Und so soll es geschehen, im Namen des Erlösers, Amen!«
    Der erschöpfte Melchorejo krächzt einige abschließende Laute hervor. Der Notar klappt das in Leder gebundene Requerimiento zu und wischt sich mit dem Ärmel über die Stirn. Und genau in diesem Moment flüstert es irgendwo vor meinen Knien mit kraftloser Stimme, doch in fehlerfreiem Spanisch:
    »Im Namen des … Erlösers … Amen!«
- 6 -
    Unser Zimmerer heißt Jesus Mendoza und hat ungeheuer geschickte Hände. Mit Säge und Hobel hantiert er so kunstvoll, dass es fast wie Zauberei aussieht. Ich schaue ihm dabei zu und behalte gleichzeitig den geretteten Mann vom Opferstein im Blick. Er liegt abseits des Tempels im Schatten eines Maniokbaums, und ich kauere neben ihm, wie es mir Cortés befohlen hat – sobaldder Gerettete neuerlich erwacht, soll ich ihn aushorchen. Doch der Mann liegt reglos im Gras und schläft wie ein Toter.
    Gleich nachdem er vorhin jene wenigen Worte gemurmelt hatte, sank er aufs Neue in Ohnmachtsschlaf. Unser Wundarzt Carlos Jeminez, genannt »der Schlitzohrige«, versorgte seine Wunden und netzte seine Lippen mit Wasser – mehr war fürs Erste nicht zu tun. Der schwarze Steindolch scheint nicht allzu tief in seine Brust eingedrungen zu sein – Jeminez ist sich sicher, dass keine lebenswichtigen Organe verletzt worden sind. Und wenn irgendwer das beurteilen kann, dann unser Wundarzt: Seine Ohren wurden ihm Anno Domini 1507 in Sevilla zur Strafe zerschnitten, weil er heimlich Leichen sezierte. Fünf Jahre saß er deshalb in Kerkerhaft und nach seiner Freilassung heuerte er auf der nächsten Karavelle an und fuhr in die Neue Welt.
    Jeminez hat ausgiebig die Pupillen unseres Geretteten betrachtet und schließlich verkündet, dass dem Mann ein betäubendes Mittel eingeflößt worden sei. Er nimmt an, dass die Götzenpriester üblicherweise so verfahren – nicht aus Erbarmen, sondern damit die Opfer nicht schreiend um sich schlagen, wenn man sie bei lebendigem Leib abschlachtet.
    Ich starre den Geretteten an, und mich überläuft ein Frösteln – dabei ist es sogar hier im Schatten furchtbar schwül. Ich brenne darauf, sein Geheimnis zu erfahren, doch mehr noch giere ich danach, mich vor Cortés auszuzeichnen. Ich will ihm und mir selbst beweisen, dass ich wirklich jene Gabe besitze – die Fähigkeit, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, das unsichtbare Gold aus ihren Herzen hervorzuschürfen. Der Gerettete muss mir sein Geheimnis verraten!
    Ich beuge mich über ihn und am liebsten würde ich ihn an den Schultern packen und rütteln. Aber Jeminez hat mich streng ermahnt, ihn nicht aus seinem Heilschlaf aufzustören. Er hat viel Blut verloren – wenn auch sehr viel weniger, als er nach den Plänen der Teufelspriester verlieren sollte.
    Alvarado und Portocarrero streifen noch immer mit ihren Einheiten durch die Ruinenstadt. Sie scheint von gewaltiger Ausdehnung zu sein – selbst von Portocarreros Flüchen ist nur noch ein fernes Dröhnen zu
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