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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Autoren: Samia Shariff
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Vorwort
    Es war ein strahlender, eiskalter Januartag, an dem ich das Manuskript von Samia Shariff erhielt.
    Man erklärte mir in aller Kürze, dass eine Frau algerischer Herkunft, Mutter von sechs Kindern und heute in Kanada lebend, darin ihr dramatisches Leben und ihre gewagte Flucht aus ihrem Land beschreibt.
    Von Anfang an zog mich Samias aufwühlende Geschichte in ihren Bann. Sie enthielt viele verstörende Einzelheiten, aber ich musste diese bewegenden Seiten einfach zu Ende lesen. Und schließlich wusste ich ja, dass es der Erzählerin gelungen war, ihrem bedrückenden Schicksal zu entkommen.
    Ich brauchte länger als erwartet, um die Flut von Frauenbildern zu bewältigen, die mir durch Samias Geschichte vor Augen getreten waren … Zu viele eigene Erinnerungen kamen an die Oberfläche wie bei einem aufgewühlten Fluss. Ich konnte mir Samias Empfindungen sehr gut vorstellen – als kleines ungeliebtes Mädchen; als Heranwachsende, die ihre weiblichen Formen verbergen musste; als Fehlleistung ihrer Mutter, die am besten niemals geboren worden wäre. Als einen Menschen, den man daran hindern wollte, zu sehen, zu wünschen, zu träumen. Schlimmer noch: Man versuchte sie davon abzuhalten, sich nach einem anderen Leben zu sehnen, in dem es kein Fluch war, als Frau geboren worden zu sein, in dem eine Frau nicht die »Versuchung«, der »Teufel« oder einfach ein Nichts ist.
    Mit der Niederschrift dieses Berichts macht sich Samia zum Sprachrohr von Tausenden von Frauen dieser Welt, die unter ihrem Schleier oder auf andere Weise eine schreckliche Geschichte verbergen. Aber »Schleier der Angst« ist weit mehr als eine Schilderung von Leid und Unterdrückung. Es ist vor allem eine Geschichte außerordentlichen Mutes.
    Samia Shariff überwindet mit ihren beiden beeindruckenden Töchtern Norah und Melissa, ihren liebevoll »Champions« genannten Zwillingen Elias und Ryan und dem kleinen Zacharias alle Grenzen und Hindernisse, die sich ihnen entgegenstellen. Nach erschütternden Erfahrungen finden sie schließlich in Montréal ihre Heimat, wo sie die höchsten aller Güter erlangen: die Freiheit und den Frieden.
    Ein schönes Happy End, das uns bewegt und befreit aus einer fesselnden Geschichte entlässt.
    Lynda Thalie
    Schriftstellerin – Lektorin – Übersetzerin
    www.lyndathalie.com

1. Meine Kindheit
    Soweit ich mich zurückerinnern kann, höre ich meine Mutter bei jeder Gelegenheit sagen: »Was habe ich nur getan, dass Gott mich mit einem Mädchen gestraft hat?«
    Diese Worte waren ihre liebste Klage. Es schmerzte mich, sie zu vernehmen. Ich hatte mein Los nicht selbst gewählt und konnte nichts daran ändern, dass ich ein Mädchen war. Heute hat sich ihre bösartige Leier zu einem fernen Murmeln verflüchtigt, und ich bin stolz darauf, die zerstörerische Kraft dieser kränkenden Worte gebannt zu haben.
    Seit dem ersten Augenblick meines Lebens bestimmte es mein Schicksal, dass ich als weibliches Wesen in eine muslimische Familie, noch dazu eine algerische, hineingeboren worden war. Es hat viel Zeit und Energie gekostet, um meine Identität und meine Freiheit zu erlangen. Heute aber bin ich stolz auf die Frau, die ich geworden bin!
    Schon als ganz kleines Kind wusste ich, dass es nicht wünschenswert war, ein Mädchen zu sein, doch ich wusste nicht, warum. Als ich etwa fünf Jahre alt war, wollte ich mehr darüber erfahren.
    »Warum liebst du mich nicht, Mama?«, fragte ich.
    Meine Mutter warf mir einen verächtlichen Blick zu.
    »Wie kannst du es wagen, mir diese Frage zu stellen! Als wüsstest du nicht, warum alle Mütter lieber Jungen als Mädchen haben«, antwortete sie, als sei das sonnenklar.
    Sie sagte, ich solle mich neben sie setzen. Diese Gunst wurde mir nur sehr selten zuteil, also schien dies ein wichtiger Augenblick zu sein.
    »Siehst du, Samia, Mütter möchten keine Mädchen haben, weil sie ihrer Familie nur Unehre und Schande bringen. Die Mütter müssen sie ernähren und darauf aufpassen, dass sie bis zu dem Tag ihre Ehre bewahren, an dem der Ehemann sie in seine Obhut nimmt. Mädchen bereiten einem ständig Sorgen.«
    »Was ist das, Mama, die Unehre?«
    »Scht! Sprich nicht vom Unglück! In deinem Alter geht dich das gar nichts an; du hast nur deiner Mutter zuzuhören und ihr zu gehorchen. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich es dir erklären. Sei ein braves Mädchen bis zum Tag deiner Hochzeit!«
    »Meiner Hochzeit? Aber ich will nicht heiraten, Mama. Ich will euch nicht verlassen. Wenn ich
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