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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung
Autoren: Tanja Kinkel
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befanden, ein Ziel.
    »Ich habe sie gesehen, LaHaye«, zischte Armstrong, und in seinem eingefallenen Gesicht arbeitete es. »Schließlich wussten wir, wo sie sein musste, und Ihr Gor war fast so wichtig für uns wie Sie. Aber nein. Als wir kamen, da hatten die Idioten das Labor bereits kurz und klein geschlagen. Sie ist an einer Kopfwunde gestorben, wie finden Sie das? Ihre Exfrau zeigte bereits erste Symptome der Krankheit, aber das Mädchen war immun, und sie wäre immer noch am Leben, wenn Ihr geliebtes Volk noch unter unserer Kontrolle gestanden hätte. Aber das ist Schicksal, wie, LaHaye?«
    Ich glaube, er wollte mich dazu bringen, ihn anzugreifen und von seinen Schmerzen zu erlösen, die, nach dem, was mir dein Vater über das Endstadium der Krankheit erzählte, entsetzlich gewesen sein müssen. Es war eine Gnade, die ich ihm nicht erwies; die Zeiten, in denen Armstrong Menschen manipulieren konnte, waren vorbei. Im Gegenteil, er schenkte mir unabsichtlich einen weiteren Funken Hoffnung. Um Julie werde ich trauern, solange ich lebe, aber nun muss ich mir zumindest nicht mehr sagen, ich hatte ihr selbst den Tod gebracht; und wenn sie immun war, dann ist es das Kind, das du erwartet hast, gewiss auch.
    Was mich überraschte, war, dass ich Mitleid für Warren Mears empfand. Ich weiß, was er dir angetan hat; vielleicht hatte das Kind, unser Kind, von dem du am Tag der Beerdigung meines Sohnes nicht sprechen wolltest, sonst nicht durch seine bloße Existenz die Seuche ausgelöst. Eigentlich hatte ich erwartet, Mears zu verabscheuen. Aber auch die Fähigkeit zu hassen, erschöpft sich irgendwann einmal. An dem Tag, an dem er und dein Vater endlich herausfanden, was mir meine Immunität verlieh, hatte ich den letzten Tropfen meines Hasses aufgesogen. Zu diesem Zeitpunkt waren sie beide bereits krank, dein Vater weiter fortgeschritten als Mears, was ich nie ganz begriff.
    »Sanchez hat sich hingelegt«, sagte Mears brüsk, als er auftauchte, Whiskey in der einen Hand und in der anderen etwas, das er mir zuwarf. Es entpuppte sich als Zigarettenschachtel. Da wusste ich, dass sie aufgegeben haben mussten; die gesunde Lebensführung, zu der sie mich in den letzten Monaten verurteilt hatten, war so unerbittlich wie eine mathematische Gleichung gewesen.
    »Und wie komme ich zu der Ehre, mich mit Ihnen betrinken zu dürfen?«, fragte ich, nahm meine erste Zigarette seit einer Ewigkeit aus ihrer Schachtel und benutzte einen von euren Laborbrennern als Feuerzeug. Silk Cuts. Keine Ahnung, wo er sie herhatte.
    »Sie haben es erfasst.«
    Nach dem ersten Glas sagte er mir, zu welchen Schlussfolgerungen sie gelangt waren, was mich betraf. »Sanchez kam zuerst darauf«, sagte er widerwillig. »Er ist immer wieder Ihre Vorgeschichte durchgegangen. Eigentlich hätten wir es uns früher denken können. Die Strahlendosis, die Ihre Eltern in Nevada abgekriegt haben, scheint noch etwas anderes bewirkt zu haben, als Ihrer Mutter Krebs zu bringen. Sie sind eine Mutation, LaHaye, eines von diesen Dingen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, weil sie aller Wahrscheinlichkeit widersprechen. Wir hätten schon argwöhnisch werden müssen, weil Sie Kinder haben, obwohl Sie nach aller Statistik sehr viel eher hätten steril sein müssen. Und dann die Kindheit ohne jede Krankheit. Negativmutationen durch Radioaktivität sind das Alltägliche, aber Sie, Sie sind der Treffer im Lotto, die Nadel im Heuhaufen, das einzige andersfarbige Staubkorn in der Wüste. UND ES LÄSST SICH NICHT KÜNSTLICH REPRODUZIEREN.«
    Er goss sich sein nächstes Glas ein. »Selbst wenn man die Menschen überzeugen könnte, sich einer hohen Dosis Radioaktivität auszusetzen - die Chance, dass auch nur einer von dreitausend dabei nicht krebskrank wird oder zumindest steril, sondern ein Kind zeugt, das gegen MSL immun ist…«
    Seine linke Hand flatterte in einer wegwerfenden Bewegung aus. Ich trank mein eigenes Glas und inhalierte meine eigene Portion Lungenkrebs. »Haben Sie eigentlich Angst vor dem Tod?«, fragte ich, weniger um grausam zu sein, sondern weil es mich aufrichtig interessierte. Er schüttelte den Kopf .
    »Aber«, entgegnete er, »ich wünschte, ich hätte mehr als nur ein paar Augenblicke vorher gelebt.« Er zögerte, dann setzte er hinzu: »Sanchez und Sie, Sie warten wohl beide darauf, dass ich mein Verhalten Beatrice gegenüber bereue. Aber wie kann ich die Momente bereuen, in denen ich mich lebendig gefühlt habe?«
    » Wenn Ihr Gönner im
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