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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab
Autoren: Arnaldur Indridason
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quälen müssen, um den Gletscher von Osten aus zu erreichen. Damals hatte es einiges Kopfzerbrechen gekostet, die Aktion genauso unauffällig wie diesmal durchzuführen. Am Ende hatte man keine andere Wahl, als eine Mondlandungsübung anzusetzen, über die innerhalb des Geheimdienstes immer noch gesprochen wurde.
    Die Dunkelheit schützte sie, und trotz des Schneefalls waren die Straßen, die inzwischen asphaltiert waren, für die Lastwagen problemlos befahrbar. Der Reihe nach passierten sie den Nationalpark Skaftafell und nahmen Kurs auf Hornafjörður.
    Kurz bevor sie nach Höfn kamen, bogen sie von der Küstenstraße auf den Weg zum Gletscher ein und hielten beim Hof der Brüder. Als Ratoffs Wagen eintraf, hatten die Soldaten bereits mit dem Entladen begonnen, und die ersten Motorschlitten standen schon zur Abfahrt auf den Gletscher 28

    bereit.
    Der Bauer stand in der Tür und beobachtete die Soldaten. Das hatte er alles schon einmal gesehen. Er kannte Ratoff nicht, der ihm im Schneetreiben entgegenkam, hatte aber andere seines Schlages getroffen. Der Bauer hieß Jón und bewohnte den Hof jetzt allein. Sein Bruder war vor einigen Jahren gestorben.
    »Soll wieder einmal ein Vorstoß auf den Gletscher unternommen werden?«, fragte er auf Isländisch, während er im Türrahmen stand und Ratoff die Hand schüttelte. Ein Dolmetscher begleitete Ratoff und übersetzte direkt, was der Bauer sagte.
    Ratoff lächelte Jón an. Sie klopften den Schnee von ihrer Kleidung und traten ein. Drinnen war es ordentlich und sehr warm. Sie setzten sich mit dem allein lebenden Bauern ins Wohnzimmer, Ratoff in seinem weißen Overall, der Dolmetscher eingemummelt in einen Polaranorak, der Bauer dagegen in einem rot karierten Hemd, abgewetzten Jeans und auf Socken. Er war fast achtzig, hatte eine Vollglatze und ein runzliges Gesicht, war aber noch gesund und munter und körperlich wie geistig fit. Als sie Platz genommen hatten, bot er ihnen pechschwarzen Kaffee und Schnupftabak an. Weder Ratoff noch der Dolmetscher konnten mit Schnupftabak etwas anfangen, sodass beide den Kopf schüttelten. Jón konnte ein paar Worte Englisch, er verstand das ein oder andere, konnte sich aber selber nicht artikulieren. Ohne den Dolmetscher, der von der Militärbasis in Keflavík kam und dort seit einigen Jahren stationiert war, wäre es nicht gegangen.
    Für Jón war es die dritte Militärexpedition auf den Gletscher, die nach dem Flugzeug suchte, wenn man Millers Suche bei Kriegsende mitrechnete. Captain Miller hatte das Land im Abstand von einigen Jahren auf eigene Faust besucht, hatte bei den Brüdern gewohnt und war mit einem kleinen Metalldetektor auf den Gletscher gestiegen. Nach zwei oder drei Wochen war er dann wieder in die USA verschwunden. Zwischen den dreien 29

    hatten sich freundschaftliche Bande entwickelt. Als sie bei der Expedition 1967 nach Miller fragten, sagte man ihnen, er sei verstorben. Das war die größte Expedition auf den Gletscher, die Jón erlebt hatte. Die Brüder hatten genau wie bei der vorherigen Expedition des Militärs als Bergführer gedient und die Soldaten auf den Berg zum Gletscher geführt. Sie begriffen, dass ein Stück des Flugzeugwracks auf einem Satellitenbild erschienen war. Zu dieser Zeit unternahm das Militär bereits keine Aufklärungsflüge mehr. Die Brüder hatten früher ab und zu Flugzeuge bemerkt, aber als sie von Satelliten abgelöst wurden, wurden die Flüge über der Gegend urplötzlich eingestellt. Die Brüder hatten sich oft gefragt, warum die Verteidigungstruppen auf Island so ein ungeheures Interesse an einem deutschen Flugzeug hatten, dass sie den Gletscher mithilfe von Satelliten überwachten und vor ihrem Hof aufmarschierten, sobald ein Stück davon aus dem Eis hervorzukommen schien. Die Brüder hatten Miller ihr Wort gegeben, dass sie mit niemandem, weder in ihrer näheren Umgebung noch irgendwo anders, über das wahre Ziel der Expeditionen sprechen würden. Miller hatte sie gebeten, von militärischen Übungen zu sprechen, falls die Leute auf dem Land neugierig würden und versuchten, ihre Nase in diese Angelegenheit zu stecken. Das hatten die Brüder getan.
    Untereinander stellten sie alle möglichen Hypothesen auf, einige davon sehr weit hergeholt. Vielleicht war die Maschine voll beladen mit jüdischem Gold, mit Diamanten, eventuell sogar Kunstwerken, die die Nazis in ganz Europa gestohlen hatten, vielleicht war ein ranghoher Militär an Bord gewesen, vielleicht eine Geheimwaffe aus dem
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