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Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Die Welt ist ein gefährlicher Ort
    Der jämmerliche kleine Säufer lief mir fast täglich über den Weg. Er trieb sich am Strand herum und war ein menschliches Wrack. Nichts als ein Skelett mit Haut drüber, ohne Fleisch, ohne Muskeln. In Shorts, T-Shirt und Schlappen. Völlig verdreckt. Ich hatte ihn noch nie nüchtern und sauber gesehen.
    Heute war es besonders schlimm. Der Typ lag neben einer verlassenen Strandbar im Sand. Seine rechte Hand war übel zugerichtet und blutete. Man sah Knochensplitter und Sehnen, darüber die Haut in Fetzen. Er war bewusstlos, und zwei räudige Köter schnüffelten und leckten an seiner Wunde herum.
    Mir wurde von dem Anblick schlecht. Der Tag war kaum angebrochen. Ich wollte mir am Ufer mit dem Wurfnetz ein paar Sardinen als Köder fangen und dann angeln, bevor die Sonne zu stark brannte. Ich hatte meine beiden Angelruten und gute 50-Kilo-Schnüre dabei. Leicht übertrieben für das Fischen am Ufer, aber besser zu viel als zu wenig.
    Ich ging hin und gab ihm ein paar Ohrfeigen, um ihn wieder zu sich zu bringen. Die Hunde knurrten und fletschten die Zähne. Ich verjagte sie mit Fußtritten. Zwei solche Nieten haben nicht mal das Recht zu bellen. Der Typ machte die Augen ein Stück auf. Sie waren ganz rot. Ich fragte ihn, was passiert sei, aber er brachte keine Antwort heraus. Es kotzt mich an, wenn mir ständig etwas dazwischenkommt, aber was sollte ich machen. Ich half ihm auf die Beine und schleppte ihn bis vor zur Straße. Dort hielt ich einen Wagen an, und wir fuhren in die Poliklinik. Ein Arzt und zwei Krankenschwestern hatten Dienst. Sie dösten vor sich hin, und es passte ihnen gar nicht, dass ich mit dem Säufer daherkam. Sie versorgten lustlos die Wunde und sagten mir, das seien Rattenbisse.
    Der Typ war halb bewusstlos und nahm nicht wahr, was um ihn herum geschah. Der Arzt wollte, dass ich ihm ein Formular unterschrieb, als Verantwortlicher für den Patienten.
    »Ich muss ihn zur rekonstruktiven Chirurgie an ein Krankenhaus in Havanna überweisen.«
    »Ja, und?«
    »Sie haben ihn hergebracht. Also müssen Sie ihn auch ins Krankenhaus begleiten. Zeigen Sie mir Ihren Ausweis und unterschreiben Sie hier.«
    »Du kannst mich mal. Ich zeige dir keinen Ausweis, und ich unterschreibe auch nichts. Häng die Sache einem anderen an, nicht mir.«
    Ich drehte mich um und ging zum Ausgang der Poliklinik. Dort saß ein Polizist und hielt Wache. Beim Hereinkommen hatte ich ihn nicht bemerkt. Er trat mir in den Weg:
    »Bürger, hiergeblieben.«
    Ich blieb stehen und sah ihm direkt in die Augen. Dann ging ich auf ihn zu.
    »Was gibt’s?«
    »Wie kommen Sie dazu, so mit dem Arzt zu reden? Was haben Sie für ein Problem?«
    »Gar keins. Es gibt kein Problem.«
    »Moment, Bürger. Bleiben Sie, wo Sie sind.« Er blickte zum Arzt und winkte ihn heran: »Doktor, kommen Sie mal her.«
    Der Arzt kam zu uns herüber. Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen:
    »Mensch, ich hab’s Ihnen doch schon gesagt, ich habe den Typ so gefunden, besoffen und verletzt. Ich habe ihn mir aufgeladen und ihn hergebracht. Aber ich kenne ihn nicht, und ich bin für gar nichts verantwortlich. Ich habe ihm nur einen Gefallen getan. Kann ihn ja nicht blutend liegenlassen.«
    Der Polizist setzte eine sorgenvolle Miene auf. Er dachte kurz nach, aber auf Denken war er offenbar nicht gedrillt. »Geben Sie mir Ihren Ausweis«, sagte er. »Verstehen Sie dehn nicht, was ich sage?«
    »So einfach ist das nicht. Der Mann ist bewusstlos.«
    »Der Mann ist besoffen. Er ist immer besoffen.«
    »Woher wollen Sie das wissen? Sie behaupten doch, Sie kennen ihn nicht und haben ihn am Strand gefunden. Ihren Ausweis, Bürger.«
    Der Arzt musste auch noch seinen Senf dazugeben: »Er soll hier unterschreiben und den Patienten ins Krankenhaus begleiten. Er ist der Verantwortliche.«
    »Was, ich?! Ich bin für gar nichts verantwortlich. Sehen Sie nicht, dass ich mein Angelzeug dabeihabe? Ich war unterwegs zum Strand, wollte am Ufer angeln, und da lag dieser Penner im Sand.«
    Der Polizist starrte mich an. In strengem Ton sagte er:
    »Schreien Sie nicht so, und sprechen Sie, wie es sich gehört.«
    »Ich spreche, wie es sich gehört.«
    Ich packte den Arzt an der Schulter und sagte: »Jetzt hör mal, mein Freund, verstehst du mich denn nicht? Kannst du diesen Saufkopf nicht einfach in einen Krankenwagen stecken und ins Krankenhaus fahren lassen?«
    »Er braucht eine Begleitperson. Und lassen Sie mich gefälligst los. Etwas Respekt, wenn ich
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