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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab
Autoren: Arnaldur Indridason
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Wirtschaftsabteilung des Ministeriums Hilfe oder Schadenersatz ein, wenn es gar nicht anders ging.
    »Was für Beraterheinis arbeiten eigentlich hier im Ministerium?«, fragte er ständig während seiner Gespräche mit Kristín. Sie nahm Verbindung mit ihrer Vorgängerin auf, die erklärte, dem Mann niemals irgendwelche Ratschläge gegeben zu haben, und Kristín vor dem Mann warnte. Er habe ihr einmal mit roher Gewalt gedroht.
    »Du musst dir doch darüber im Klaren sein, dass Geschäfte mit Russland in der augenblicklichen Situation äußerst riskant sind«, hatte sie bei ihrem ersten Zusammentreffen gesagt und ihn darauf hingewiesen, dass das Ministerium die inländischen Firmen zwar nach bestem Vermögen beim Aufbau ihrer Handelsbeziehungen mit dem Ausland unterstütze, das unternehmerische Risiko aber in jedem Fall bei den Firmen liege. Das Ministerium bedauere den Ausgang der Dinge sehr und wolle ihn gern dabei unterstützen, über die isländische Botschaft in Moskau Kontakt zu den Käufern aufzunehmen, aber wenn es ihm nicht gelinge, seine Außenstände einzutreiben, 20

    könne das Ministerium wenig ausrichten. Dies hatte sie mit anderen Worten bei ihrem zweiten Gespräch wiederholt und erklärte es jetzt zum dritten Mal, während er ihr mit wütender Miene und dieser lächerlichen Silberkette in der Westentasche gegenübersaß. Das dritte Zusammentreffen zog sich in die Länge. Es war spät geworden, und sie wollte nach Hause.
    »So einfach kommt ihr mir nicht davon«, sagte er. »So ein saudämliches Pack, lässt einen Geschäfte mit der russischen Mafia machen. Wahrscheinlich steht ihr bei denen auf der Gehaltsliste. Was weiß denn ich? Man hört ja so einiges. Ich will mein Geld zurück, und wenn nicht …«
    Sie kannte diesen Sermon bereits zur Genüge und beschloss, der Sache ein Ende zu setzen. Jetzt reichte es ihr mit diesem Quatsch. Der Kopfschmerz wurde stärker. Es war schon spät.
    »Es tut uns natürlich Leid, wenn du bei deinen Geschäften mit den Russen Geld verloren hast, aber das ist nicht unser Problem«, sagte sie ruhig. »Wir übernehmen keine Entscheidungen für andere Leute. Sie müssen selbst entscheiden, was sie tun. Wenn du so schwachsinnig bist, ohne irgendwelche Sicherheiten Waren für zig Millionen Kronen ins Ausland zu schicken, bist du dümmer als du aussiehst. Jetzt möchte ich dich bitten, mein Büro zu verlassen und mich in Zukunft mit diesem Blödsinn von der Verantwortung des Ministeriums zu verschonen.«
    Er starrte sie an. Die Worte »schwachsinnig« und »dumm«
    dröhnten in seinem Kopf. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber sie war schneller.
    »Raus jetzt, gefälligst.« Sie sah, wie sein Gesicht vor Wut anschwoll.
    Er stand langsam auf, ohne den Blick von ihr abzuwenden, dann schien er urplötzlich die Beherrschung zu verlieren. Er packte den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, und schleuderte ihn hinter sich an die Wand.
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    »So leicht kommst du mir nicht davon«, schrie er. »Wir sehen uns noch, und dann werden wir ja sehen, wer von uns beiden der Dumme ist. Das ist eine Verschwörung! Verschwörung! Und dafür wirst du mir büßen.«
    »Ja, ja, mein Herzchen, nichts wie raus mit dir«, sagte sie, als redete sie mit einem sechsjährigen Kind. Sie wusste, dass sie ihn damit noch wütender machte, konnte sich aber nicht beherrschen.
    »Pass bloß auf. Glaub ja nicht, dass du damit durchkommst, so mit mir zu reden«, schrie er, stürzte zur Tür und warf sie so heftig hinter sich ins Schloss, dass die Wände wackelten. Die Mitarbeiter des Ministeriums hatten sich in einer Traube vor ihrem Büro versammelt, als der Stuhl an die Wand knallte und der Mann zu brüllen begonnen hatte. Sie sahen ihn rot vor Wut aus ihrem Büro stürzen. Kristín erschien in der Tür.
    »Alles in Ordnung«, sagte sie zu den Mitarbeitern. »Er hat Probleme«, fügte sie hinzu und schloss behutsam die Tür. Sie setzte sich an den Schreibtisch. Ein Schauer durchlief sie. Sie blieb eine ganze Weile still sitzen, während sie versuchte, sich zu beruhigen. Auf so etwas hatte ihr Jurastudium sie nicht vorbereitet. Kristín war klein, mit dunklem Teint und kurzem, schwarzem Haar. Sie hatte ein schmales Gesicht mit klaren Zügen, und ihre scharfen braunen Augen strahlten Entschlossenheit und Selbstsicherheit aus. Sie galt als konsequent und unnachgiebig, und im Ministerium eilte ihr der Ruf voraus, dass sie Haare auf den Zähnen hätte.
    Das Telefon klingelte. Es war ihr Bruder, der sofort
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