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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab
Autoren: Arnaldur Indridason
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Straßen in der Innenstadt von Reykjavik, wo die Polizei solche Kameras angebracht hatte. Bei sich zu Hause ging sie nie ins Internet.
    Sie benahm sich, als würde sie einen längeren Urlaub vorbereiten. Die Insel existierte, sie fand das mithilfe der Royal Geographic Society heraus, indem sie in der Nationalbibliothek die Homepage der Gesellschaft aufrief. Die Insel wurde vor allem in geografischer Hinsicht vorgestellt, ihre Geschichte in knapper Form umrissen, und sie erfuhr die genauen Koordinaten. Sie zog in Erwägung, zuerst nach Europa zu fliegen und von da aus nach Südamerika, sie befasste sich auch mit anderen Reisemöglichkeiten, sah aber keine Chance, Passagierlisten und Passkontrollen zu umgehen.
    Als der Kapitän ihr eines Tages sagte, dass er auf dem Weg nach Mexiko sei, wo er einen isländischen Trawler einem Käufer übergeben sollte, entschloss sie sich, ihn für die Sache zu gewinnen. Als sie ihm ihre Idee unterbreitete, wollte er zunächst nichts davon wissen. Sie gab keine Erklärung ab, weshalb sie mit ihm nach Mexiko fahren und dort unregistriert an Land gehen wollte. Der Kapitän war es gewohnt, Passagiere mitzunehmen, es gab immer wieder Leute, die Angst vor dem Fliegen hatten und stattdessen lieber mit einem Frachtschiff 343

    fuhren, aber er wollte sich auf keine illegale Aktion mehr einlassen.
    Sie wusste nicht, warum er es sich dann doch anders überlegte.
    Eines Tages kam er zu ihr und sagte, wenn es das sei, was sie unbedingt wolle, würde er ihr helfen. Sie habe um einen Freundschaftsdienst gebeten, und er sei nicht derjenige, ihr einen Freundschaftsdienst abzuschlagen.
    Bis zum Schluss war sie hin und her gerissen, ob sie diese Reise wirklich unternehmen sollte oder nicht, doch schließlich wog die Neugierde schwerer als alles andere. Sie ging auf die vierzig zu. Wenn sie jetzt nicht führe, würde sie nie fahren, das war ihr klar. Der Einzige, den sie einweihte, war ihr Bruder Elías. Sie wollte auf keinen Fall Júlíus in die Sache hineinziehen, so wie sie es damals mit Steve gemacht hatte. Mit Elías ging das, aber nicht mit Júlíus.

    Das Schiff legte frühmorgens ab. Sie stand an Deck und beobachtete, wie Island am Horizont verschwand. Es war Sommer, und die Sonne, die bereits vor einigen Stunden aufgegangen war, wärmte ihr das Gesicht. Die Reise verlief ohne Probleme. Als das Schiff in einer kleinen Hafenstadt am Golf von Mexiko anlegte, gelang es ihr, unbehelligt von mexikanischen Zollbehörden und Passkontrollen an Land zu gehen. Sie und der Kapitän hatten auf der Überfahrt lange Gespräche miteinander geführt und waren in vollstem Einverständnis auseinander gegangen.
    Kristín kaufte sich ein robustes Auto und zahlte in bar. Sie fuhr Richtung Süden, benahm sich wie ein ganz gewöhnlicher Tourist, schlief in Motels, besuchte historische Sehenswürdigkeiten, ließ sich von der Natur faszinieren und genoss in vollen Zügen, was das Land an Essen und Trinken zu bieten hatte. Sie entspannte sich völlig auf der Reise und war so gelöst wie seit langem nicht mehr. Es machte Spaß, wieder 344

    einmal im Ausland unterwegs zu sein.
    Etliche Tage später brach sie von Buenos Aires auf. Dort hatte sie ihr Auto verkauft, und nun brachte sie die erste Etappe ihrer eigentlichen Reise mit dem Flugzeug nach Comodore Rivadavia in Mittelpatagonien hinter sich. Sie hatte drei Tage für ihre Reise in den Süden des Landes eingeplant. Sie kaufte sich Fahrkarten für die Linienbusse. In Caleta Olivia übernachtete sie und durchquerte am Tag darauf die Landwirtschaftsregionen von Fitzroy und Jaramillo. Von dort ging es über den Rio Chico direkt nach Süden und über die Magellan-Straße zu dem Städtchen San Sebastian knapp nördlich der chilenischen Grenze.
    Sie traf abends in dem kleinen Ort ein, in dem schätzungsweise fünfzehntausend Menschen lebten, und quartierte sich in einem kleinen Hotel ein. Am nächsten Tag ging sie zum Hafen hinunter, wo sie auf einen Seemann traf, der ein bisschen Englisch verstand. Der Mann war an die sechzig, trug einen grauen Bart, und ihm fehlten einige Vorderzähne. Er erinnerte sie an einen isländischen Fischer. Sie fragte nach der Insel, er nickte zustimmend und beschrieb mit der Hand einen großen Bogen. Weit draußen, schien er ihr zu bedeuten. Sie einigten sich über den Preis und vereinbarten, sich am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe zu treffen und die Insel anzusteuern.
    Sie verbrachte den Tag damit, durch das Städtchen zu bummeln und die
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