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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman
Autoren: Charlotte Lyne
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auf seinen Armen, sah zur Seite, wo Sarah mit Jean stand, und Scham überwältigte ihn. Wie konnte er seinen Bruder zwingen? Hätte er von diesen dreien eines verloren, stünde er nicht selbst stockstill? Aber ichbin nicht der Erbe. »Vorwärts, John«, brüllte er seinen Bruder an, so laut, dass jeder es hörte. »Folgt ihm alle. Er ist MacIain der Dreizehnte. Er ist Glencoe!«
    Dem letzten Wort folgte donnerndes Getöse. Hinter ihnen brach der windschiefe Dachstuhl seines Hauses ein. Die Frauen in vorderster Reihe begannen, mitsamt ihren Kindern zu rennen. Ihre Männer folgten ihnen, mehrere umringten Eiblin und John und drängten sie von den Häusern fort und in die Weite der Ebene, dem Cliff der Feinn entgegen. Sandy Og hörte nicht auf zu schreien: »Du bist Glencoe, John. Du bist Glencoe.«
    Neben ihm lief seine Frau, mit einem Kind im Leib und einem Kind in der Schlinge. Gott, nimm sie mir nicht weg. Mit ihr halt ich’s aus.

    In einer Felsspalte machten sie Rast, weil die Spalte Deckung bot – Schutz vor dem gnadenlosen Wind, doch ebenso vor Blicken aus dem Tal. Achtunddreißig Menschen hatten sie hier hinaufgetrieben, und einunddreißig waren noch übrig. Acht Männer, zehn Frauen, dreizehn Kinder. Mit jedem, der stürzte und liegen blieb, schwoll das Wehklagen an. Sie sollten darauf keine Kraft verschwenden, schrie Sandy Og den Leuten zu, aber er wusste so sehr wie Sarah, dass es sinnlos war. In der Tat waren die Kräfte verbraucht, auf dem letzten Stück kamen sie kaum noch voran. Sarah half John und Sandy Og, die Schar in die Spalte zu treiben. »Dicht zusammendrängen. Nasses Wollzeug auswringen!«
    Von diesen einunddreißig , dachte Sarah, geben wir keinen mehr her. Keinen Einzigen.
    Sie war erst wach geworden, als ihr Haus schon brannte. Ausgerechnet sie, die sonst vom Summen einer Fliege aus dem Schlaf schreckte, schlief, seit sie das Kind trug, tief und weltentfernt. Sie hatte sich in solcher Sicherheit gewiegt, dass sie friedvoll schlafen konnte, und sie bereute keinen Augenblick, denn die Sicherheit und der Schlaf hatten sie stark gemacht, stark genug, um zu laufen, um Eiblin und ihren Jungen aus ihrem brennenden Haus zu holen, aus dem ihre übrigen Kinder längst ihren Mördern in die Waffen geflohen waren. Warum die Soldaten weitergelaufen waren, ohne auch sie zu töten, wusste sie nicht. Vielleicht glaubten sie, das Feuer würde ihnen die Arbeit abnehmen. Es war nicht wichtig. Sie würde es nie erfahren.
    Erst als die Häuser menschenleer waren, rannte sie selbst in Richtung Carnoch. Sie war stark genug, um sich an die Hoffnung zu klammern, dass die Männer ihres Hauses noch lebten, stark genug, um Angus’ ungeheures Opfer anzunehmen und zu fliehen. Um nahezu jeden Preis leben zu wollen. Und sie war auch stark genug, um Menschen, die sich über ihre Toten beugten, mit Schlägen weiter den Hang hochzutreiben, keine Kraft mit Heulen zu verschwenden und nur wenig Kraft mit Denken.
    Dass der Platz in der Felsspalte knapp war, das kam ihnen zugute. Je dichter sich die Leiber drängten, desto länger hielt sich die Wärme. Hier traf sie der Schnee nicht, aber Sandy Og forderte trotzdem, sie sollten sich in Bewegung halten, Arme und Beine kreisen, ihre Kinder nicht einschlafen lassen. Die erschöpften Menschen waren kaum in der Lage, den Befehlen Folge zu leisten, doch die kleinste Bemühung mochte helfen, mochte ein Leben retten.
    Ein Leben.
    Was aus ihrem Leben werden sollte, durfte niemand sich fragen.
    Sarah, die selbst eine Welle der Erschöpfung spürte, drängte sich an ihren Mann. Jean war eingeschlafen, was gefährlich sein mochte, aber die Tochter war ihr schon immer als eine erschienen, die wusste, was gut für sie war. Sie ließ sie gewähren, zog nur die Decke um sie fester. Sandy Og sah sie an. Wenigstens pfiff hier der Wind nicht so wild, dass man dagegen anbrüllenmusste, wenigstens hätten sie hier sprechen können, aber woher sollten ihnen Worte kommen? Seit sie aus ihrem Haus geflohen war, hatte Sarah kein Wort herausgebracht.
    Das Kind fand Worte. Duncan. »Vater«, sagte er mit wie erdrückter Stimme, »ich hab Angus gesagt, wir sollen nach Carnoch laufen. Ich hab ihm keine Ruhe gelassen. Ich bin schuld, dass er gestorben ist.«
    »Nein«, sagte Sandy Og ruhig, obgleich ihm das Atmen hörbar schwerfiel. »Nein, Duncan, daran bist du nicht schuld. Dass du in der Nacht nach Carnoch laufen wolltest, war ziemlich dumm, aber Menschen tun ziemlich dumme Dinge. Manchmal geschieht
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