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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman
Autoren: Charlotte Lyne
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Nicht hier. Aber später. Sobald John in Sicherheit ist.
    Er ließ Una zu Boden gleiten, schrie sie an, sie solle aufstehen und versuchen, in Bewegung zu bleiben, schrie Duncan an, er solle sie festhalten und mit ihr hüpfen, auf dass sie sich gegenseitig wärmten. Dann lief er zu seinem Bruder, zwang sich, den Vater nicht anzusehen, und packte Johns Schultern. »John, wir müssen hier weg, wir müssen unseren Familien helfen! Lindsay und seine Männer kommen zurück, du musst mir helfen, allein bekomm ich Mutter und die Kinder nicht weg!«
    Er schrie, was ihm in den Sinn kam, und rüttelte mit aller Kraft an John, aber er hätte ebenso gut einen Sack rütteln können, der auf und ab schwang und heulte. Es ließ sich nichts tun, er würde aufgeben und John zurücklassen müssen, um wenigstens die Übrigen irgendwie von dannen zu schaffen. Dann jedoch fiel ihm wieder ein, warum das nicht möglich war, und im selben Atemzug wusste er auch, was er zu tun hatte.
    Er ließ Johns Schultern los und ging neben ihm in die Knie, packte mit einer Hand sein Gesicht und umspannte mit aller Macht seinen Mund, sodass das Geheul verstummte. Die freie Hand presste er John aufs Herz. »Wir, die Clansmen von Glencoe«, rief er, »geben dir, dem MacIain, dafür, dass du uns führst und schützt, von jeder Zwillingsgeburt ein Halbes, und unser bestes Stück Vieh nach unserem Tod. Wir, die Clansmen von Glencoe, geloben dir unsere Treue!«
    Nach den wenigen Worten sackte Sandy Og der Kopf herunter, er war völlig atemlos und so schwach, dass er John loslassen musste. Wenn er wieder zu heulen und sich zu werfen begann, hatten sie verloren, dann war nichts mehr übrig. Zögerlich blickte er wieder hoch. Johns Hand tastete nach seiner Schulter, fand Halt daran und rappelte sich auf, streckte Sandy Og die Hand hin und half ihm auf die Füße. Es bedurfte keiner Absprache. John lud sich Una auf und Sandy Og die Mutter, die er auf einer Hüfte trug, um mit der freien Hand Duncan beim Laufen zu stützen. Sobald sie loseilten, hörten sie neue Schüsse und Schreie.
    Da sich der Schneefall verdichtete, war nichts zu sehen. Blind und im Innern starr vor Angst rannten sie auf ihre Häuser zu.
    Obwohl es unter etwa hundert Decken verborgen war, erkannte Sandy Og das Geschöpf, das durch Schneegestöber auf ihn zukam, sofort. Er fragte sie nicht, was sie aus dem Haus getrieben hatte, was in der Siedlung geschah, wer lebte und wer tot war, und er erzählte ihr auch nichts von Carnoch, sondern hielt sich nur an ihr fest, spürte ihren Herzschlag und den seines Kindes und vernahm sein eigenes irres Lachen. In ihr Gesicht schwor er sich: Von dir trenn ich mich keinen Schritt mehr, bis wir inSicherheit sind. Dass er nicht hart wie Stein war, ließ sich nicht ändern. Er musste genügen, so wie er war.
    Sarah und Sandy Og verteilten Decken an die Lebenden. Die Mutter lebte nicht mehr. Sandy Og küsste ihre Wange, zog sein Plaid von ihr herunter und legte sie in den Schnee. »Wir müssen die Leute aus der Siedlung treiben!«, schrie er John zu, als der sich nähern wollte. »Wir müssen sie so schnell wie möglich in die Berge bringen. Keiner bleibt bei einem Toten stehen! Keiner lässt einem Toten eine Decke – wir brauchen jedes Tuch, das wir kriegen können!«
    Sie rannten alle los, nur seinen Sohn hob Sandy Og auf die Arme. Ihre Häuser brannten. Zwischen stürzenden Dachbalken, verstreutem, zerbrochenem Hausrat, unter fliegenden Funken und Schnee trieben sie die Lebenden zusammen. Zwischen Toten. Sie rissen klammernde Hände von leblosen Körpern, stießen in Rücken, zerrten, schlugen, traten. Achtunddreißig Menschen zählte Sandy Og, ein jeder unschätzbar, ein jeder ein Sieg, wenn sie ihn herausbrachten.
    »Wir gehen in die Berge!«, schrie Sandy Og den Zusammengetriebenen zu. »Immer weiterlaufen, nicht stehen bleiben! Wenn einer stirbt, nicht haltmachen. Keine Decke zurücklassen.« Als seine Stimme brach, war Sarah da, und er fand sie wieder. »Achtet auf Schwächere. Haltet euch nahe beieinander.«  
    Er wollte den Zug in Bewegung setzen, doch mitten unter ihnen stand Eiblin, hielt ihren Jüngsten in den Armen und rührte sich nicht. Eiblin, die immer so laut geweint hatte, gab jetzt nur kleine Kehllaute von sich, die klangen, als ersticke sie. Das Kind wollte sie Sarah geben, auf dass die es mitnahm. Sandy Og verstand. Sie wollte bei ihren toten Kindern bleiben und sterben, und John stellte sich neben sie.
    Sandy Og spürte Duncans Gewicht
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