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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman
Autoren: Charlotte Lyne
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hockte am Boden, hatte eine Schüssel Bohnen zum Verlesen auf den Beinchen und hörte vor dem Haus die Pfeifen. Sogleich schnellte sie in die Höhe, und die Schüssel zersprang auf den Fliesen.
    Noch etwas zersprang. Die Kapsel, in der sie gefangen gewesen war und in der sie nichts mehr hatte sehen können. Jetzt sah sie ihn, ihren Vater MacIain, der sie nicht schalt, sondern lachte und den Takt klatschte, den Ceanas Füßchen tanzten, tapeditap, tapeditap . Sie wollte zu ihm hinlaufen und sich an ihn schmiegen: Ich bin dein kleines Mädchen. Du hast doch mich.
    Wie hatte sie glauben können, ein anderer sei ihr Vater alsder, der sie aufgezogen hatte? Eine andere sei ihre Familie als die, von der sie, solange sie denken konnte, ein Teil gewesen war? Der MacIain hatte sich an ihrem Vater und an ihr versündigt, er hatte schwere Schuld auf sich geladen, aber er hatte sie an jedem Tag ihres Lebens geliebt. Wie hatte sie glauben können, sie wünschte einem von ihnen den Tod? Ceana stand auf. Sie tat, was der Rotrock ihr gesagt hatte, rannte durch das dunkle Haus, fand irgendwo Tuch und Schuhe und eilte aus dem Haus.
    Die Nacht war hell. Flammen grellten in den Himmel, der Stall der Inverrigans brannte, und der Schnee fiel, als wüte er gegen die Flammen an. Ceana rannte, ohne nach links und rechts zu sehen. Sie wusste, wo die Toten liegen mussten; sie ahnte, wo die Soldaten auf ihrem Mordpfad weiterstürmten, aber sie sah nicht hin, sondern richtete ihren Blick auf das Weiß zu ihren Füßen, durch das sie sich vorwärtskämpfte, während die aufstiebenden Flocken wie Nadeln auf ihrer Haut stachen. Sie musste schnell sein, schneller als die Mörder, sie musste den Vater MacIain warnen, ehe sie Glencoe auslöschten. Die Fiedeln und Pfeifen, das Tapeditap, unsere Sommer auf dem Black Mount, unsere Winter an harzigen Feuern. Als sie stolperte, fing sie sich, bevor ihre Hände den Schnee berührten.
    Hinter einer Schneewehe glaubte sie Carnoch zu sehen, die hohe Rauchfahne, die im Nachtwind zuckte, das goldene Licht. So hell und so warm war Carnoch. Und dann sah sie in dem Licht von Carnoch, dass vielleicht fünfzig Schritte vor ihr etwas in dieselbe Richtung lief. Es war kein Mensch auf zwei Beinen und kein Tier auf vieren. Ceana spannte jede Sehne, jeden Muskel in ihrem Leib und rannte noch schneller. Das Wesen lief nicht, es hoppelte, knickte in der Mitte ein und schnellte dann wieder ein Stück weit voran. Der Abstand wurde kleiner, und manchmal erkannte sie Konturen – zwei Köpfe, zwei Leiber, drei Beine.
    In Carnoch brannte kein Licht, und aus dem Schornstein waberte kein Rauch. Carnoch brannte. Die Tür war aus denAngeln gerissen und ein Dutzend Soldaten in roten Röcken drängte ins Freie, von denen jeder etwas auf den Schultern trug. Rot, durchfuhr es Ceana, aber nicht blutrot. Die Männer warfen ihre Last in den Schnee. Im selben Augenblick erkannte Ceana, was vor ihr auf die Soldaten zuhumpelte: Gormals Sohn Angus und der Krüppel der Campbell. Sandy Ogs Krüppel.
    Einer der Männer wies nach vorn, stieß einen anderen an. Eine Frau floh nackt in den Schnee und stürzte. Mutter Morag! Zwei oder drei Soldaten legten gleichzeitig an und zielten auf die Kinder, die zu vertieft waren, um etwas zu merken. »Nein!«, brüllte Ceana aus Leibeskräften, »Angus, Duncan, nein!«
    Gormals Junge fuhr herum. Sein Gefährte schwankte. Der Lärm der Schüsse war ohrenbetäubend, und der Boden schien zu beben, doch Ceana rannte weiter, und als sie nicht mehr rennen konnte, warf sie sich nach vorn. Angus hatte dasselbe getan: sich geworfen, seitwärts über den Körper des Kleinen. Etwas fuhr in Ceanas Brust und zerriss sie, aber das machte nichts, denn sie hatte es geschafft. Sie fiel auf Angus’ Rücken, der schon so lang war wie der eines Mannes. Aus dem wäre ein guter Mann geworden, freundlich und stark.
    »Bleib still liegen«, bemühte sie sich, dem Kleinen zuzuflüstern, dessen Arm sie unter ihrem Schenkel spürte, »rühr dich nicht, lass sie denken, du bist tot.« Ob er sie hören konnte, ob sie überhaupt noch Laute von sich gab, wusste sie nicht. Sie musste es einfach versuchen, solange es noch ging: »Bleib ganz still, hab keine Angst. Gleich kommt Hilfe.«
    Als es nicht mehr ging, verwandte sie die letzte Kraft darauf, es mit ihrem Knie auf seinen Arm zu klopfen. Mit dem wendigen Knie einer Tänzerin, tapeditap, tapeditap. Gleich kommt dein Vater, kleiner Duncan, und wickelt dich in sein Plaid. Gleich kommt
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