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Zärtlicher Hinterhalt

Zärtlicher Hinterhalt

Titel: Zärtlicher Hinterhalt
Autoren: Christina Dodd
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Kapitel 1
    Miss Hannah Setterington,
    alleinige Inhaberin der
    Vornehmen Akademie der Gouvernanten,
    welche drei Jahre lang die allerbesten Gouvernanten,
    Gesellschafterinnen und Lehrerinnen vermittelt hat,
    gibt hiermit bekannt, dass sie
    (gestern)
    die
    Vornehme Akademie der Gouvernanten
    verkauft hat.
    (Und zwar für eine hübsche Summe, die es ihr ermöglichst
    sich mit Problemen aus ihrer Vergangenheit zu befassen,
    die sie bis zum heutigen Tage verfolgen.)
    Mit Wirkung vom 4. März 1843
    Endlich, in diesem Moment, konnte Hannah Setterington aufrichtig von sich behaupten, alleine zu sein. Völlig, vollkommen, ganz und gar allein. Sie ließ die Reisetasche auf die hölzernen Planken des Bahnsteigs plumpsen und schaute sich in der Dämmerung Lancashires um. Kein einziges Haus erhob sich zwischen den mächtigen Bäumen. Kein freundliches Licht zwinkerte durch ein verhangenes Fenster, nirgendwo murrte oder lachte eine menschliche Stimme, und einen schwachen Schein, der in London auch in den dunkelsten Nächten glomm, gab es in der tiefsten englischen Provinz ebenso wenig. Tatsächlich waren nicht einmal mehr die Hügel zu sehen, die sich im Norden erhoben. Nacht und Nebel lagen auf der Landschaft, vom Zug war nur noch entferntes Gerumpel zu hören, und es schien klug, jetzt die Meinung zu ändern – was die Stelle als Gesellschafterin einer alten Tante des Marquess of Raeburn anging.
    Aber wem sollte sie ihre Entscheidung mitteilen? Die ganze Landstraße entlang, die sich am Bahnsteig vorbei über den Hügel wand und schließlich verschwand, war nirgendwo der Diener in Sicht, den Hannah hier anzutreffen erwartet hatte.
    Außerdem handelte es sich um eine Mission. Sie war hierher gekommen, um sich einen Herzenswunsch zu erfüllen, und würde nicht vorzeitig wieder abreisen.
    Obwohl sie wusste, dass ihr unmöglich ein Fehler unterlaufen sein konnte, durchsuchte sie ihr Damentäschchen und förderte den Brief zu Tage, den ihr die betreffende Haushälterin geschickt hatte. Hannah blinzelte ins schwindende Licht. In Mrs. Trenchards schöner Handschrift stand da geschrieben:
Nehmen Sie am 5. März den Zug nach Presham Crossing, und steigen Sie dort aus.
    Heute war eindeutig der 5. März. Sie sah zu dem Schild auf, das über dem neu errichteten Bahnsteig hing.
Presham Crossing
verkündete es stolz.
    Ich schicke eine Kutsche, die Sie nach Raeburn Castle bringt, wo der Hausherr Sie schon voller Ungeduld erwartet.
    Hannah studierte erneut die schmale Straße. Keine Kutsche. Kein Diener. Kein gar nichts. Seufzend steckte sie den Brief in die Tasche zurück und fragte sich, warum solche Unfähigkeit sie noch überraschte. Dass sie selbst ein Organisationstalent besaß, das anderen häufig fehlte, wusste sie aus Erfahrung. Es war ja gerade ihre Effizienz gewesen, die sie dazu befähigt hatte, die Vornehme Akademie der Gouvernanten die letzten drei Jahre über allein zu leiten. Und zwar so erfolgreich, dass Adorna, Lady Bucknell, die Hannah um Unterstützung beim Verkauf gebeten hatte, die Akademie gleich selbst erwarb. »Ich brauche etwas, um mir die Zeit zu vertreiben, jetzt, wo Wynter unserer Firma vorsteht«, hatte Adorna gesagt und einen Scheck über eine stattliche Summe ausgeschrieben.
    Nun, im Alter von siebenundzwanzig Jahren, war Hannah in der beneidenswerten Lage, nie mehr arbeiten zu müssen.
    Was sie natürlich dennoch tun würde. Sie hatte gearbeitet, seit sie denken konnte. Nähereien erledigt, Botengänge gemacht, als Dienstmädchen ausgeholfen. Sogar in der Schule hatte sie sich abgeschuftet, um die Beste zu sein … und dann war da eine kurze, schreckliche, wunderbare Zeit gewesen, wo sie nichts getan hatte.
    Sie zog den Umhang fest um den Hals und schaute wieder die Straße entlang, die aber hartnäckig leer blieb, während ,die Nacht sie umfing.
    Letztens hatte sie oft an jene Tage gedacht, in denen sie nutzlos gewesen war, überflüssig, ein Besitztum. Wie klar sie ihre Erinnerungen bewahrte, verwirrte sie zwar, überraschte sie aber nicht. Jedes Mal, wenn sie an einem Wendepunkt stand, wenn die Alltagspflichten nicht mehr jede Sekunde des Tages verschlangen – wanderten ihre Gedanken in die Vergangenheit, und sie fing wieder an, sich Fragen zu stellen. Hannah war alleine mit den Dunstfetzen, die sich langsam zu Nebelbänken formierten, die Sterne verdeckten und sie in Isolation hüllten. In Augenblicken wie diesen kam ihr oft der Gedanke, was wohl passieren würde, falls sie nach Liverpool zurückkehrte,
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