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Zärtlicher Hinterhalt

Zärtlicher Hinterhalt

Titel: Zärtlicher Hinterhalt
Autoren: Christina Dodd
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absurden Mordgerüchte, sondern wegen der schäbigen Behandlung, die man mir bis jetzt hat angedeihen lassen.«
    Alfred zuckte die Schultern. »Dann wird's Ihr Begräbnis, Miss.«
    Was für ein heiterer Zeitgenosse!
»Wie lange brauchen wir noch?«
    »Wir sind schon oben am Felsenturm.« Er streckte die Hand aus, als sei das Wahrzeichen, auf das er deutete, tatsächlich zu sehen. »Und da ist das Pförtnerhaus. Den Graben haben sie in den letzten zweihundert Jahren zugeschüttet. jetzt kommt der Hof.«
    Erschreckend unvermittelt tauchten die Lichter des Schlosses aus dem Nebel auf. Die Holzräder ratterten über Pflastersteine, und der Karren kam inmitten der Auffahrt zum Stehen. Verblüfft über den massiven Steinhaufen, der sich so abrupt vor ihr erhob, legte Hannah den Kopf in den Nacken und schaute, so weit es ging, nach oben. Sie schien sich auf einer Zeitreise zu befinden. Das Schloss sah noch genauso aus wie im Mittelalter, mit Schießscharten als Fenstern, da früher Gebäude stets auch Verteidigungszwecken dienten.
    »Fast siebenhundert Jahre alt, ein paar Teile jedenfalls. Sind viele hier zur Welt gekommen und viele abgekratzt.« Alfred wandte sich Hannah zu und betrachtete sie aus trüben Augen, die feucht und verdrießlich blinzelten. »Alles Gute, wünsch ich, Miss!«
    Eine Tür ging auf, und Hannah konnte in dem großen, erleuchteten Rechteck fünf Silhouetten erkennen, vier davon männlich, eine weiblich.
    Eine Frauenstimme, in der sich eine gute Erziehung und ein schwacher Lancashire-Akzent mischten, rief: »Alfred, hast du sie mitgebracht?«
    »Ja.«
    »Wurde auch Zeit. Der Herr war die letzte Stunde über schon recht verärgert.«
    Die Frau und drei von den Männern, zwei von ihnen mit Laternen, eilten auf den Karren zu, wobei die Frau unablässig plapperte. »Miss Setterington? Ich bin Mrs. Judith Trenchard. Verzeihen Sie bitte, was Ihren Transport betrifft. Es gab da ein … Missverständnis.«
    Ein Missverständnis. Wie interessant.
    »Ich hoffe, Sie hatten keine allzu großen Unannehmlichkeiten«, sagte Mrs. Trenchard.
    »Aber keineswegs.« Einer der Bediensteten stellte Hannah eine Trittstufe hin und half ihr von dem Sitzbrett herunter. »Aber wenn ich vielleicht um ein Dienstmädchen bitten dürfte, das mir die Kleider ausbürstet.«
    Als die Diener die Laternen hoben, machte sich auf Mrs. Trenchards rundlichem, faltigem Gesicht Bestürzung breit. Sie mochte an die fünfundsechzig Jahre alt sein und verströmte eine Aura von Kompetenz und Energie, die im krassen Widerspruch zu ihren Abbitten und Irrtumsbekundungen stand. »Selbstverständlich schicke ich Ihnen ein Mädchen. Kommen Sie herein, bevor Ihnen die Nässe noch in die Knochen dringt.«
    Wozu es, wie es schien, aber bereits zu spät war. Hannah trat über die Schwelle in eine düstere Höhle, fing zu zittern an und konnte nicht mehr damit aufhören.
    »Billie, bring Miss Setterington eine Decke«, ordnete Mrs. Trenchard an. »Du meine Güte, Miss, das ist aber auch eine ungeeignete Nacht, um im Freien herumzufahren. Ich weiß nicht, was den neumodischen Eisenbahngesellschaften einfällt, ihre Fahrgäste zu solchen Zeiten abzusetzen. Sie werden noch an meine Worte denken! Diese Eisenbahner werden in Lancashire nie Fuß fassen, wenn sie sich so hirnverbrannt benehmen. Vielen Dank, Billie.« Sie legte Hannah die warme, saubere Wolldecke um und eilte mit ihr auf eine Wendeltreppe zu. »Der Herr erwartet Sie.«
    Mrs. Trenchard war höher gewachsen als Hannah, ungewöhnlich groß für eine Frau, mit schweren Knochen und breit gebaut. Der voll gehängte eiserne Schlüsselring an ihrem Gürtel – Abzeichen des Ranges, den sie hier innehatte klapperte bei jedem Schritt. In Mrs. Trenchards Griff kam Hannah sich vor wie ein Blatt im kräftigen, stürmischen Wind. »Ich würde mich vorher noch gerne frisch machen«, sagte Hannah.
    »Ach, lieber nicht. Wir lassen den Herren ungern warten.« Mrs. Trenchard hörte sich sehr ernst an. »Er ist nicht so furchtbar, wie die anderen sagen, aber streng und eigenbrötlerisch. Ich möchte mich nicht mit ihm anlegen, und Sie sind später dran als erwartet.«
    Hannah hätte gerne erklärt, dass dies nicht
ihre
Schuld war.
    Aber Mrs. Trenchard sprach unablässig weiter, während sie Hannah die Stufen hinaufschob. »Der Herr will den Eingang verlegen, damit die Gäste durchs Foyer im Hochparterre eintreten können. Die Küche ist als Eingang wirklich unpassend, wenn man Raeburn zum ersten Mal besucht. Und auf
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