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Zärtlicher Hinterhalt

Zärtlicher Hinterhalt

Titel: Zärtlicher Hinterhalt
Autoren: Christina Dodd
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wo die Vergangenheit sie erwartete.
    Doch sie hatte die Idee immer wieder verworfen. Natürlich war sie zu feige, sich den Konsequenzen ihrer jugendlichen Ungeduld zu stellen – und viel zu klug, sich Jahre später noch den Kopf zu zerbrechen.
    Sie steckte die behandschuhten Hände unter die Achseln, grub das Kinn in den Wollschal und wandte sich nützlicheren Überlegungen zu. Was tun? Der Diener schien sie verpasst zu haben, das Dorf war nirgendwo in Sicht, und die Nacht versprach kalt zu werden. Doch sie würde nicht in Panik verfallen, nur weil man sie versetzt hatte.
    Zumindest war ihr von London her niemand gefolgt, so viel wusste sie. Seit kurzem hegte sie den Verdacht, dass man sie beobachtete – einer der Gründe, weshalb sie diese Stelle angenommen hatte. Einer der drei finsteren, identisch gekleideten Herren, die ins Haus gegenüber gezogen waren, ging immer gerade zum Markt, wenn sie es tat, besuchte dieselbe Theatervorstellung oder tauchte sogar in Surrey auf, wo Hannah zusammen mit Pamela zur Taufe von Charlottes zweitem Kind eingeladen war.
    Wer interessierte sich wohl derart für eine Londoner Geschäftsfrau von niedriger Herkunft, dass er sie aufspürte und beobachten ließ?
    Ein einziger Mann kam da nur in Frage … doch wie hätte der sie auch vergessen können?
    Als dann die Anfrage nach einer Gesellschafterin für die alte Dame in Lancashire eintraf, hatte sie darin einen Wink des Schicksals gesehen. Sie hatte das Geschäft verkauft und sich aus London davongestohlen. Mochten etwaige Ignoranten auch von Flucht sprechen, Hannah nannte es eine Auszeit.
    Entschlossen nickte sie. ja, eine Auszeit, um ihre Zukunft zu überdenken. Die Zukunft Hannah Setteringtons.
    Immer noch keine Kutsche. Immer noch kein Kutscher. Ihren Schülerinnen auf der Gouvernanten-Akademie hatte sie beigebracht, wie man mit einem solchen Dilemma fertig wurde – mit gesundem Menschenverstand und ohne Hassgefühle. Wenn innerhalb einer Stunde niemand erschien, würde sie losmarschieren, und zwar in der festen Hoffnung, dass die Richtung, für die sie sich entschied, die nach Presham Crossing war. Dort würde sie jemanden anheuern, der sie nach Raeburn Castle brachte. Bald nach ihrer Ankunft würde sie Mrs. Trenchard, der Haushälterin, einen höflichen, aber scharfen Tadel erteilen. Verarmte Damen aus vornehmem Hause, die sich als Gouvernanten verdingten, wurden häufig von den Bediensteten aus dem Souterrain schikaniert. Hannah würde so beginnen, wie sie weiterzumachen gedachte. Was hieß, sich sogleich Respekt zu verschaffen. Falls das nicht möglich war, dann wollte sie es lieber sofort wissen – bevor sie noch anfing, die alte Lady zu mögen, die recht liebenswert, wenn auch gelegentlich etwas verwirrt war, wie man ihr brieflich versichert hatte.
    Hannah lächelte in ihren Schal. Sie mochte ältere Damen. Sechs Jahre lang war sie Lady Temperlys Gesellschafterin gewesen, hatte mit ihr die ganze Welt bereist und all die Sehenswürdigkeiten besucht, von denen die Leute schwärmten. Mit Lady Temperly zu reisen war so ganz anders gewesen, als mit Mutter von Haus zu Haus zu ziehen und ständig von irgendwelchen englischen Offizieren und deren rechthaberischen Frauen getadelt oder ignoriert zu werden. Die Herrlichkeiten des Kontinents hatten ihr eine andere Welt eröffnet …
    In der Ferne, links von ihr, war ein Knarren und ein Mitleid erregendes Ächzen zu hören. Sie erstarrte und fragte sich einen Augenblick lang, welches Getier hier unterhalb der Hügel wohl sein Unwesen trieb.
    Es folgte ein Klacken, dann noch eines, dann wieder ein Knarren. Erleichtert entspannte Hannah sich. Sie kannte dieses Geräusch. Irgendwer kam in einem bescheidenen Gefährt über den Hügel und fuhr langsam auf sie zu. Was sollte es anderes sein als ihre Kutsche? Wer sonst war denn bei solch scheußlichem Wetter unterwegs?
    So angestrengt sie auch schaute, zeigte sich vorerst niemand. Dann zeichnete sich im Nebel ein Licht ab. Ein hölzerner Karren rollte herbei und blieb schließlich stehen. An einer Seite hing eine Laterne an einem Haken, ein dürrer Kerl hielt die Zügel eines krummen Gauls. Der Mann öffnete den Mund, und heraus kam ein nach Ale stinkender Rülpser, den Hannah selbst über die Entfernung hin riechen konnte. Presham Crossing lag anscheinend in der Gegenrichtung die Straße hinunter, denn der Mann hatte offensichtlich der Taverne einen Besuch abgestattet.
    Sie starrten einander in beiderseitigem Missfallen an. Der Mann war in
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