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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott
Autoren: Wolf Haas
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    Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen. Und da sieht man, wie ein Mensch sich verändern kann. Weil heute bin ich die Ruhe in Person. Und müsste schon etwas Besonderes passieren, dass ich mich noch einmal aufrege. Die Zeiten sind vorbei, wo mich alles gleich aus der Fassung gebracht hat. Hör zu, warum soll jedes Blutbad mein persönliches Bier sein? An und für sich sage ich da schon lange, sollen sich die Jungen drum kümmern, quasi Credo.
    Ich persönlich schau heute lieber auf die positiven Seiten des Lebens. Nicht immer nur tschingbumm, und wer hat jetzt wem eine Kugel, ein Messer, ein Stromkabel, was weiß ich nicht alles. Mich interessieren die netten Leute viel mehr, die ruhigen, die normalen, wo man sagt, der führt sein normales Leben, der achtet Recht und Ordnung, der verwechselt sich nicht schon in aller Früh mit dem lieben Gott, sondern schön das ordentliche Leben, Anstand und alles.
    Schau dir zum Beispiel den Chauffeur vom Kressdorf an. Also von dem bekannten Bauunternehmer, du kennst sicher die Lastwägen mit der grünen Aufschrift KREBA, sprich Kressdorf Bau. Die haben viel in München gebaut, zum Beispiel das das das. Und jetzt bei uns das
Riesenland.
Aber mir geht es nicht um den Kressdorf. Sondern um seinen Chauffeur. Weil so ein Kressdorf, der hat natürlich seinen Chauffeur, klare Sache, der kann nicht alles selber fahren. Vor allem, seit er wieder verheiratet ist, die junge Gattin in Wien, der KREBA-Firmensitz in München, dann ein zweijähriges Kind, treffen sie sich am einfachsten in der Mitte, sprich Kitzbühel. Weil in Kitzbühel natürlich die Geschäfte, die Kontakte, ja was glaubst du.
    Für ein Kind kann das auch nicht gut sein, immer das Hin und Her, und ich glaube, die Tochter vom Kressdorf hat die Autobahn schon für ihr Spielzimmer gehalten. Aber ich muss zugeben, das ist einmal ein nettes Kind gewesen. Nicht wie heute die Kinder allgemein, also kein Bitte, kein Danke, kein Grüßgott, kein Aufwiedersehen. Andererseits ist es ein Glück, dass sie sich so benehmen, weil so kann man die Kinder wenigstens noch von den Erwachsenen unterscheiden. Früher war es mehr die Größe, da hat man gesagt, ein Kleiner ist ein Kind und ein Großer ist ein Großer. Aber heute wachsen die Kinder ja so schnell, dass du von der Größe her keinen Anhaltspunkt mehr hast, ist es jetzt der Primar, der da so sportlich aus der Säuglingsstation herausspaziert, oder ist es der Neugeborene selber. Und da ist es eben umgekehrt wie früher, und Faustregel:
    Der weniger Arrogante ist der Primar.
    Jetzt weil ich gerade sage Säuglingsstation. Die Frau vom Kressdorf ist Ärztin gewesen, die hat ihr eigenes Institut gehabt, eine kleine Etagenklinik im 1. Bezirk. Gute Ärztin, aber leider in letzter Zeit viele Probleme mit den Betschwestern vor dem Haus, sprich Demonstranten. Die sind gegen Abtreibungen gewesen, weil d.as war eben ihre Überzeugung, es soll nicht sein, tausend Gründe, der liebe Gott, die Jungfrau Maria und und und.
       Zum Glück war der Chauffeur so ein robuster Mensch, weil an manchen Tagen wäre ein schmächtiger Chauffeur auf verlorenem Posten gestanden. Da hat er das Kind der Ärztin an den Rosenkranzrowdys vorbeischmuggeln müssen wie der reinste Stadionpolizist, der den Schiedsrichter gerade noch vor der Lynchjustiz rettet.
    Jetzt der Vater auch gerade viel Stress, weil Bauunternehmer immer Stress, und darum das Kind natürlich auch Stress. Weil wenn du heute zwei Eltern hast, die keine Zeit, aber fünfhundert Autobahnkilometer zwischen sich haben, dann kommst du als Kind natürlich nicht mehr von der Autobahn herunter. Und da darf man einem Kind nicht böse sein, wenn es den Chauffeur zu seiner wichtigsten Bezugsperson ernennt. Und ob du es glaubst oder nicht, das erste Wort vom Kressdorf-Kind nicht »Mama«, erstes Wort nicht »Papa«, erstes Wort »Fara«.
    Das war aber schon mindestens ein halbes Jahr her, weil inzwischen hat die kleine Helena in ihrem Kindersitz schon geplappert, dass der Fahrer fast kein Autoradio mehr gebraucht hat. Und vor allem beim Verstehen war sie sehr gut. Der Herr Simon hat das Gefühl gehabt, dass dieses Kind ihn besser versteht als die meisten Erwachsenen, mit denen er in seinem Leben zu tun gehabt hat. Er hat der Helena erzählen können, die schwierigsten Sachen, Probleme, alles, und das zweijährige Mädchen am Rücksitz hat das verstanden. Umgekehrt hat sie ihm immer alles
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