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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott
Autoren: Wolf Haas
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haarklein berichtet, wenn er sie von der Tagesmutter abgeholt hat, und der Herr Simon immer ein aufmerksamer Zuhörer. Da war einfach ein geistiger Draht da, Seelenverwandtschaft Hilfsausdruck.
    Überhaupt war der Herr Simon sehr zufrieden mit seinem neuen Leben, weil nicht immer Chauffeur gewesen, sprich verschiedene Berufe ausprobiert, aber über fünfzig hat er werden müssen, damit er seine Sache findet. Wo andere schon an Pension und Rente denken, hat der Herr Simon erst ein richtig gutes Berufsleben angefangen. Einmal die fünf Stunden von Wien nach München, dann wieder die fünf Stunden von München nach Wien, manchmal auch mit der Mutter, selten einmal mit dem Vater, aber immer mit dem freundlichen Kind, das ihn so gut verstanden hat. Das hat ihm so getaugt, das kann sich ein anderer, der nicht so zum Chauffeur geboren ist, gar nicht vorstellen. Und du darfst eines nicht vergessen. Schlecht gezahlt hat der Kressdorf nicht. Das schlechte Gewissen dem Kind gegenüber hat sich so ausgewirkt, dass sie den Chauffeur übertrieben gut gezahlt haben. Oder war es auch nicht so sehr das schlechte Gewissen, sondern einfach die Sorge um das Kind. Ein richtiger Auflauf war zwar selten vor der Abtreibungsklinik, aber die stille Bedrohung von den Betschwestern fast noch beängstigender, weil seufzende Aggression immer am schlimmsten, und altbekannte Tatsache: Hinter jedem Massenmörder steht eine Massenseufzerin.
    Die Frau Doktor war wahnsinnig froh über den verlässlichen Fahrer. Weil der hat seinen Job ernst genommen, frage nicht. Wenn da nur das geringste Geräusch irgendwo war, ein Klingeln von der Lüftung her, oder ein Scheibenwischer hat einen minimalen Streifen gemacht, oder wenn da eine Fußmatte nicht gerade gelegen ist, das wäre ihm unmöglich gewesen, das hat er dem Kind nicht zugemutet. Und da hat er nicht gesagt, die Helena sieht von ihrem Kindersitz aus meine Fußmatte sowieso nicht, sondern aus Prinzip immer alles picobello.
    Jetzt hat der Chauffeur sich wahnsinnig geärgert, dass er gestern auf das Tanken vergessen hat. Weil das ist ihm noch nie passiert, dass er schon mit der Helena aus Wien hinausfährt, und nach fünf Minuten schaut er auf die Tankuhr, und ob du es glaubst oder nicht: Er hat am Abend nicht getankt, sprich nur mehr Benzin für hundertneunzig Kilometer!
    Aber das ist vielleicht auch an den Tabletten gelegen.
     
    Weil nicht nur positive Wirkung. Eine gewisse Zerstreutheit. Möglich wäre es, dass es von den Tabletten kommt, hat der Chauffeur überlegt, während er Ausschau nach der nächsten Tankstelle gehalten hat. Er hat überhaupt viel über die Wirkung der Tabletten nachgedacht. Einerseits hat .er nicht mehr so gut geschlafen, andererseits ist es ihm besser gegangen, seit sie ihm die Tabletten verschrieben haben, wo man sagt, da ist der Tag ein bisschen sonniger für dich. Du musst wissen, vorher war nicht mehr viel los mit ihm, besonders seit ihn seine letzte Freundin verlassen hat. Obwohl ich da auch die Frau verteidigen möchte, und ich glaube eher, sie hat ihn verlassen, weil es schon nicht mehr auszuhalten war mit ihm. Und seine Freundin hat ihm ja sogar noch den Arzt verschafft, weil der Herr Simon ein Leben lang Arztmuffel.
    Aber dann hat er die Tabletten nicht genommen, weil nicht nur Arzt-, sondern auch Tablettenmuffel. Und erst wie die Freundin dann endgültig weg war, und wie dann der Kühlschrank eines Tages vollkommen leer war, und auch die anderen Schubladen, also Dosen und so weiter, Nudeln, Reis, alles leer, also wie dann nur mehr die Tabletten da waren, da hat er die Tabletten gegessen.
    Und seither wie ausgewechselt! Mehr das Positive! Das hat man zum Beispiel heute früh gemerkt, wo wieder einmal die Kampfbeterinnen von
Proleben
vor der Klinik Spalier gestanden sind. Und er hat die kleine Helena fast nicht an ihnen vorbeigekriegt, weil sie ihm von links und rechts die Rosenkränze und Embryofotos unter die Nase gehalten haben wie im reinsten Sizilien. Da wäre ihm früher garantiert die Hand ausgekommen, dass die Plastikembryos mit den Rosenkranzperlen nur so um die Wette gespritzt wären. Aber durch die Tabletten viel gelassener. Und mit der Gelassenheit kommst du ja viel weiter.
    Und auch die Tankstelle hat er sich jetzt schon wieder verziehen, weil er hat gesagt: Ein kleiner Fehler kann jedem einmal passieren. Und für ein zweijähriges Kind ist der Betrieb auf so einer Tankstelle ja sogar interessant, da kann es beim Fenster hinausschauen, schön die Leute
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