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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott
Autoren: Wolf Haas
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damit das Leben gerettet hat. Er hat aber in den vergangenen Tagen so viel Ungewöhnliches erlebt, dass er nicht lang versucht hat zu verstehen, warum sich ein Mensch dreieinhalb Jahre daheim einsperrt. »Gestehen« kommt von »Verstehen«, hat er überlegt, aber er hat nicht einmal verstanden, warum ihm dieser Blödsinn jetzt eingefallen ist. Und ich muss auch sagen, bei näherer Betrachtung ist der normale Mensch eine Seltenheit, und falls man ihn einmal trifft, sollte man eher bei ihm nachfragen, wie und warum und wieso.
    Am Berg ist der VW-Bus auch tadellos gelaufen, der Brenner hat ihn zum Reinhard-Domizil hinaufgetrieben, und unglaublich, er hat nur bei den steilsten zehn Metern auf die Zweite zurückschalten müssen.
    Es war früher Nachmittag, und der Bankdirektor natürlich nicht in seinem Domizil. Aber seine Frau ist im Liegestuhl gelegen, das Gesicht im Schatten, die Beine in der Sonne. Und siehst du, dafür ist ein Bus gut, weil in einem niedrigeren Wagen hätte der Brenner gar nicht über die Büsche gesehen.
    »Warum bleibst du hier stehen?«
    Die Südtirolerin hat ein bisschen ängstlich geschaut, und ich muss ehrlich sagen, auf der abschüssigen Straße hat es ein bisschen kriminell ausgesehen. Aber der Bus ist nicht weggerollt, während der Brenner schnell zum Gartentor hinüber ist und geklingelt hat. Die Frau vom Reinhard hat sich widerwillig aus ihrem Liegestuhl erhoben und ist im Bademantel zum Gartentor gekommen. Der Brenner hat ihr ein Kuvert in die Hand gedrückt und gesagt, er soll das für ihren Mann abgeben. Drei von den zwanzig Fünfzigern haben zwar gefehlt, aber das war dem Brenner egal.
    Auf der Rückfahrt hat er der Südtirolerin erklärt, warum er dem Bankdirektor das Geld zurückgegeben hat, und weil sie gerade beim Thema Geld waren, hat er sie gefragt, was der VW - Bus gekostet hat.
    »Ich hab ihn auf fünfzigtausend hinuntergehandelt«, hat die Südtirolerin gesagt, »mit Radio.«
    Weil der Brenner sich immer noch geärgert hat, dass sie sich nicht ein günstigeres Frauenauto gekauft hat, ist ihm die Frage herausgerutscht, ob sie einen Geldscheißer hat.
    »Das könnte man fast so sagen«, hat die Südtirolerin geantwortet und dem Brenner erzählt, dass ihr daheim das halbe Tal gehört, weil ihr Bruder mit dem Motorrad verunglückt ist und ihr Onkel keine Kinder gehabt hat. »Dadurch hab ich ein riesen Land geerbt.«
    »Und hast du für den VW-Bus ein Feld verkauft?« »Bischt du verrückt? Ich geb nichts her. Ich hab mir geschworen, dass ich nichts anrühre. Es ischt alles verpachtet. Und irgendwann werde ich es wem vermachen.«
    »Und die fünfzigtausend?«
    »Das sind die Sparbuchzinsen vom letzten Jahr«, hat die Südtirolerin gesagt. »Ich hab mir gedacht, die Zinsen kann ich schon anrühren für ein Auto. Damit ich ein bisschen hinauskomme. Es ist auch nicht gesund, wenn man sich immer nur in der eigenen Straße aufhält. Der Mensch muss auch einmal unter die Leute.«
    Dem Brenner ist dann eingefallen, dass er schon knapp dran war für das Begräbnis vom Knoll, und er hat sie gebeten, ob er direkt zum Döblinger Friedhof fahren darf, und sie fährt selber heim.
    »Ich versteh nicht, dass du da zu jedem einzelnen Begräbnis rennst«, hat die Südtirolerin gesagt. »Du bischt ja schlimmer wie meine alten Tanten daheim.«
    Aber der Brenner hat sich nicht davon abbringen lassen, und weil die Südtirolerin nichts dagegen gesagt hat, ist er dann einfach direkt zum Döblinger Friedhof und hat sich von ihr verabschiedet.
    Aber dann hat er geschaut. Weil zum Begräbnis vom Knoll sind mehr Leute gekommen als zum Kressdorf und zum Stachl und zum Milan und zum Herrn Zauner und zum Bauleiter und zum Sicherheitschef zusammen.
     
    Der Knoll hat offiziell als das erste Opfer vom Kressdorf gegolten und außerdem als Verleumdungsopfer, weil für die Entführung öffentlich vorverurteilt. Seine kleineren Verfehlungen wie die Erpressung hat man angesichts der Morde leicht unter den Tisch fallenlassen können, jetzt hat der ein Heldenbegräbnis bekommen, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Da ist vom Opus Dei bis zum besten Freund vom Papst, vom letzten Habsburger bis zum ersten Domprediger alles zusammengekommen und hat dem Märtyrer das letzte Geleit gegeben. Und mitten unter den Trauernden hat der Brenner auch den Bankdirektor Reinhard entdeckt. Er hat sehr bekümmert ausgesehen. Weil ich glaube, für so einen gütigen Fädenzieher ist es immer wieder unbegreiflich, wenn ein Schützling,
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