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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott
Autoren: Wolf Haas
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gerannt ist. Er hat sich nicht erinnert, wie er ein zweites und ein drittes Mal um die Tankstelle und durch die Waschanlage gerannt ist. Oder besser gesagt, erinnert hat er sich ganz genau. Aber rückwärts! Jetzt wie ist so was möglich?
     
    Pass auf. Seine Vorwärts-Erinnerung setzt erst dort wieder ein, wo er in den Tankstellenshop zurück rennt. Er erwähnt kein Wort vom verschwundenen Kind, sondern: Mir ist was aus dem Auto gestohlen worden. Weil sonst ruft der Tankwart ja sofort die Polizei, wenn er erzählt, was man ihm gestohlen hat. Dafür hat die Kripo den Herrn Exkollegen ja dann so in die Zange genommen. Warum hast du nicht sofort die Polizei gerufen, Straßensperre, Razzia und alles! Und ich muss auch sagen, bei so etwas muss man einfach die Polizei rufen. Eigene Polizeivergangenheit hin oder her. Da hat der Herr Simon einen schweren Fehler gemacht. Vielleicht war er einfach von den Tabletten her zu selbstsicher eingestellt. Auch wenn man hinterher zehnmal sagen kann, es wäre sowieso egal gewesen, es hätte nichts genützt, wenn er die Polizei sofort gerufen hätte, weil längst zu spät für jede Straßensperre. Aber das hat er ja nicht wissen können. Und wenigstens sich selber hätte er einiges erspart. Im Nachhinein gesehen. Vor allem die Gescheitlöcher von der Zeitung hätte er sich erspart, weil die haben dann über irgendwelche Kanäle sein uraltes Polizeischulfoto ausgegraben und dazu geschrieben: »Leibwächter trank in aller Ruhe Kaffee, bevor er Polizei rief.«
     
    Aber da muss ich schon sagen: So stimmt es auch wieder nicht! Weil er hat den zweiten Kaffee jetzt ja nur bestellt, damit er mit dem Tankwart gut ins Gespräch kommt. Ob man auf den Überwachungsbildschirmen vielleicht etwas sehen kann. Der Tankwart war sehr freundlich, oder eigentlieh müsste ich sagen Shopwart, weil tanken tun die Warte ja heute nicht mehr, sondern nur mehr Shop. »Milan« ist auf seinem Brustschild gestanden, aber der junge Mann hat dem Kunden in tadellosem Deutsch erklärt, Säulen überwacht, Eingang überwacht, Kassa überwacht. Aber hinten, beim Luftdruckgerät, wo der Herr Simon den BMW zwischengeparkt hat, natürlich nicht überwacht. Obwohl ich sagen muss, das ist unverständlich, weil so ein Luftdruckgerät ist schneller gestohlen als eine Zapfsäule. Aber so war es eben, und der Herr Simon hat das eigentlich schon gewusst, er hat ja draußen als Erstes geschaut, ob eine Kamera in der Nähe war. »Kann ich vielleicht trotzdem schnell schauen, ob eine von den anderen Kameras den Dieb beim Weglaufen aufgenommen hat?«
    »Ist leider nicht erlaubt«, hat der Milan gesagt und ihm seinen Espresso hingestellt.
    Aber ich weiß nicht warum, ist ihm der Herr Simon einfach sympathisch gewesen, hat er sich ein Trinkgeld erhofft, hat er ein schlechtes Gewissen wegen dem Diebstahl auf dem Firmengelände gehabt, oder hat der Herr Simon so verzweifelt dreingeschaut, der Tankwart hat ihm dann gedeutet, er soll zu ihm kommen, und er hat auf den Flachbildschirm gezeigt, der über der Kassa gehängt ist. Ob du es glaubst oder nicht, zehn kleine Kamerabilder, Säule 1, Säule 2, Säule 3, Säule 4, Säule 5, Säule 6, Säule 7, Säule 8, Eingang, Kassa.
    Der Milan hat das Band zurücklaufen lassen, und schon nach ein paar Sekunden sieht man den Herrn Simon rückwärts aus dem Shop zappeln, dann rückwärts um die Tankstelle rennen, das musst du dir einmal vorstellen, du siehst dich bei etwas, das du vor fünf Minuten getan hast und nicht mehr weißt, rückwärts dreimal in die Waschanlage und dreimal rückwärts heraus, die größte Verzweiflung seines Lebens hat rückwärts lächerlich ausgesehen und nur ein paar läppische Sekunden gedauert, bis der Herr Simon rückwärts zur Salzsäule erstarrt ist, als hätte der Milan das Bild angehalten. Und im nächsten Moment geht ein ganz anderer Herr Simon entspannt rückwärts in den Shop hinein.
     
    Der Shopwart hat das Band bis zu der Stelle laufen lassen, wo der Herr Simon wieder bei seinem Auto war, lächelnd die sauberen Scheiben verschmiert und in aller Ruhe Benzin aus dem Auto gesaugt hat.
     
    Von da an hat er den Film normal abgespielt, sprich in normalem Tempo und vorwärts. Und dann sind endlich die Szenen gekommen, wo der Herr Simon gehofft hat, dass man irgendwas Verdächtiges sehen kann. Zuerst sieht man ihn beim Zurückhängen der Tankpistole. Dann stellt er das Auto weg, damit der Volvo hinter ihm nachrücken kann. Der Volvo- Fahrer tankt, der Herr Simon geht
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