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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung
Autoren: Heinz G. Konsalik
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München
    Der Brief kam mit der Post, wie es sich für einen anständigen Brief gehört. Nur war er nicht anständig, aber das sah man ihm von außen nicht an.
    Er war am 1. April, einem Sonnabend, um 11 Uhr beim Postamt München 23 in den Kasten geworfen worden und träumte bis zum Montagmorgen in einem besonders großen Schließfach seiner Zustellung entgegen.
    Der Bote Aloys Hieberl holte ihn am Montag mit vielen anderen Briefen ab, schüttete die Post auf den Schreibtisch von zwei Sekretärinnen und sagte: »Do habt's Arbeit.« Das wiederholte sich so jeden Tag, nur war heute ein besonderer Tag, und auf Monate hinaus sollten alle folgenden Tage keine normalen Tage mehr werden.
    Die Sekretärinnen begannen mit der Sortierung. Post für das Generalsekretariat, den Kunstausschuß, die Pressestelle, den Ausschuß für Finanzwesen, den Bauausschuß, den Sportausschuß, den Verkehrsausschuß, den Vorstand. Der unscheinbare Brief wanderte in eine besondere, lederne Mappe, denn auf dem Kuvert stand:
    An den Herrn Präsidenten
des Nationalen Olympischen Komitees
für Deutschland
Herrn Willi Daume
München 13
Saarstraße 7.
    Eine korrekte Adresse. Was auffiel an ihr, war das Wort ›persönlich‹, doppelt unterstrichen.
    Um 10.12 Uhr lag der Brief auf dem Schreibtisch des Präsidenten. Das Kuvert war aufgeschlitzt, aber sonst nicht berührt. ›Persönlich‹ ist ein Zauberwort, man weiß nie, was sich dahinter verbirgt. Der Absender lautete: ›Komitee und Aktionsgemeinschaft für friedliche Spiele‹. Niemand im Sekretariat konnte sich einen Vers darauf machen, es war ein neuer Name, der in der Korrespondenz noch nicht aufgetaucht war. Und weil der Absender unbekannt war und es in der Anschrift ›persönlich‹ hieß, wurde der Brief im Sekretariat nur aufgeschlitzt, aber nicht gelesen und nach seinem Inhalt – wie die anderen Briefe – in den Briefkorb irgendeines Fachreferenten gelegt.
    Der Präsident las zunächst den Absender, ehe er den Briefbogen aus dem Umschlag zog. Er dachte kurz nach, erinnerte sich an keine Aktionsgemeinschaft dieses Namens, aber man kann ja nicht alles behalten: Vier Jahre lang schüttelt man Hände, lernt tausend Leute kennen und vergißt sie wieder, hat Tischnachbarn bei Galaessen, die man nie wieder sieht, führt lange Gespräche mit Experten, die dann wieder im Grau des Alltags untertauchen, besichtigt Bauten und Sportstätten, hält da eine Rede und dort auch eine, und jeder, dem man die Hand gedrückt hat, fühlt sich als guter Bekannter des Präsidenten und sagt zu Hause, unter Freunden, am Stammtisch, im Verein, zum Sparkassendirektor, wenn es um Kreditverhandlungen geht, zu seinem Arzt, der den Blutdruck mißt und das Herz mit einem Stethoskop belauscht: »Ja, den kenne ich gut. Wir haben uns köstlich unterhalten. Ein Mann, der für alles Verständnis hat. Wir waren sofort einer Meinung. Herr Präsident, habe ich gesagt, Sie glauben nicht, wie viele unentdeckte Talente gerade in den kleinen Vereinen verkümmern. Wenn da der Staat oder das Land oder irgend jemand – so eine Art Sporthilfe – Sie wissen schon … Also, ich sage Ihnen, Herr Präsident, vom olympischen Gedanken her gesehen … Und wie das funktioniert, das haben wir ja 1936 gesehen, aufs Kreuz haben wir sie alle gelegt, aber da hatte auch der Staat … na ja, Schwamm drüber. Also, es war ein sehr kameradschaftliches Gespräch …«
    Der Präsident faltete das Blatt Papier auseinander. Ein kurzer Brief, und doch begann er in der Hand des Präsidenten zu zittern. Er lautete:
    Sehr verehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren des Olympischen Komitees.
    Bei den Bauarbeiten auf dem Olympiagelände wurden an einem bestimmten Tag irgendwo im großen Stadion zwei Atomsprengsätze eingebaut. Die Ummauerung oder Umbetonierung – wie Sie wollen – ist so vollkommen, daß im jetzigen, letzten Stadium der Arbeiten niemand mehr diese Sprengsätze entdecken kann. Die Atombomben können durch elektrische Impulse ferngezündet werden. Jeder Experte auf diesem Gebiet wird Ihnen die simple Konstruktion erklären können. Nehmen wir an, daß wir – die wir wie alle teilnehmenden Völker an einer friedlichen Durchführung der Olympischen Spiele in München interessiert sind – diese Zündung auslösen: das würde den Tod aller 81.000 Besucher des Stadions bedeuten. Noch mehr: Die beiden Atomsprengsätze haben die vernichtende Wirkung mehrerer Hiroshima-Bomben. In Sichtweite würde alles Leben zerstört und getötet.
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