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Katzensprung

Katzensprung

Titel: Katzensprung
Autoren: Christiane Gibiec
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Olgiza
    Erschöpft und mit leer geweinten Augen hockte Trudi Sassi
am Küchentisch, die braunen Locken, die sonst auf ihrem Kopf zu einem duftigen
Knoten zusammengebunden waren, hingen zerwühlt herunter. Ihr Mann Emilio saß
ihr regungslos gegenüber und sagte nichts, über seinem Gesicht lag die
abweisende bleiche Maske, die er sich überzog, wenn Trudi Krach schlug, eine
zweite Haut, die sie nicht durchdringen konnte. Auch heute hatte er ihren
Ausbruch stoisch über sich ergehen lassen, hatte ein paarmal versucht, seine Hand
auf ihren Arm zu legen, die sie ihm wegschlug, hatte beschwichtigend gepustet,
demütig die Handflächen gezeigt, schließlich auf Durchzug geschaltet, als sie
zum wiederholten Mal Beschimpfungen und Anklagen über Vertrauensbruch,
unendliche Verletzung, zerstörtes Leben, grenzenlose Ignoranz herauskeuchte.
    Diesmal war der Anlass ein Anruf auf Trudis Handy gewesen, morgens
um halb neun. Luna war in der Schule, und Trudi wollte gerade ins Bad gehen.
Die Frau am Telefon meldete sich mit dem Namen Ramona Wenkler, Trudi wisse ja
sicher, wer sie sei. Sie klang betrunken und lallte, sie werde um Emilio
kämpfen, es sei die große Liebe, sie seien füreinander bestimmt und ähnlichen
Schwachsinn.
    Trudi wusste, wer das war, sie hatte weggedrückt und zitternd ihr
Handy ausgeschaltet.
    Dass sie anrief, war neu, das war eine massive Attacke auf Trudis
intimste Sphäre, ein Übergriff, der zu weit ging. Sie hatte Emilio, der erst im
Morgengrauen aus der Kneipe gekommen war, geweckt, und er hatte natürlich
geleugnet. Er habe Ramona seit Wochen nicht gesehen, und Trudi wisse doch, dass
da nichts mehr laufe.
    Solche Szenen spielten sich regelmäßig ab, seitdem Trudi vor einem
Jahr entdeckt hatte, dass Emilio offenbar schon seit Längerem eine
Nebenbeziehung unterhielt. Befreundete Gäste aus seinem Lokal hatten es ihr
zugetragen, und Trudi war es wie Schuppen von den Augen gefallen. Auf einmal
ergaben Puzzleteilchen, die sie an Emilios Verhalten irritiert hatten, einen
Sinn, und die Situation stand ihr glasklar vor Augen.
    So war sie an einem Freitagabend – normalerweise hatte sie freitags
ihren Frauenabend, an dem Luna zu ihrer Oma ging und Trudi sich mit einigen
Freundinnen zum gemeinsamen Saunieren und anschließenden Restaurantbesuch in
Elberfeld traf, sodass Emilio mit freier Bahn rechnen konnte – zu Emilios
Kneipe »Trudi’s Eck« nach Wichlinghausen gefahren. Vom Eingang aus hatte sie
beobachtet, wie ihr Mann mit blitzenden Augen hinter der Theke herumbalzte wie
in seinen besten Machojahren, mit den Gästen schäkerte und dabei ein Bier nach
dem anderen zapfte, und es dauerte nicht lange, bis Trudi den Grund seiner
Euphorie ausmachen konnte. Da saß er am Ende des Tresens: langes, dunkles,
duftiges, dickes Haar, das hin- und herflog und im Lampenschein rötlich
glänzte, ein weißes Dekolleté mit lockendem Brustansatz, viel Busen, schmale
Taille, runde Schenkel und Hüften, die in schwarzem Satin steckten. Und, Trudi
sah es, als die Frau sich in ihre Richtung drehte, attraktiv, ein hübsches,
vielleicht etwas verquollenes Gesicht, hellgrüne Augen, ein leuchtend roter,
voller Mund. Das Weibchen schlechthin, Emilios Beuteschema in Reinkultur. Und
höchstens Ende dreißig.
    Trudi war Frauengeschichten ihres Mannes gewohnt. Über die fast
zwanzig Jahre, die sie verheiratet waren, hatte sie immer wieder
lippenstiftbeschmierte, nach fremden Parfums riechende T-Shirts und andere
Indizien in seiner Wäsche gefunden und ihm viele, viele Szenen gemacht.
Irgendwann hatte sie begriffen, dass es keinen Zweck hatte. Entweder leugnete
er stoisch und erklärte sie für krankhaft eifersüchtig, oder er setzte allen
verfügbaren Charme ein, um ihr seine Liebe zu beweisen. Sie beruhigte sich
schließlich mit der Tatsache, dass er jede Nacht nach Hause kam und dass die
Düfte und Lippenstiftfarben wechselten. Sie gab Ruhe und gewöhnte sich ab,
seine Taschen, sein Handy und seine E-Mails zu kontrollieren.
    Schlagartig war ihr an jenem Abend in der Kneipe klar geworden, dass
er sich vor einem guten Jahr verändert hatte. Die Müdigkeit, die ihn jenseits
der fünfzig überfallen hatte, war wie weggeblasen. Hochgemut und dynamisch wie
der Dreißiger zur Zeit ihres Kennenlernens war er plötzlich gewesen und hatte
Trudi, wenn er gegen zehn aufwachte, gern zu einem feurigen Stündchen ins Bett
gezogen, was bis dahin kaum mehr vorgekommen war.
    Beschämung, Demütigung, blanke Angst fuhren Trudi angesichts
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