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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
Autoren: Peter Heller
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I
    I ch halte das Biest in Schuss, ich habe einen endlosen Vorrat an Flugbenzin – hundert Oktan, bleiarm –, ich halte nach Angreifern Ausschau. Ich bin jung genug, ich bin alt genug. Früher habe ich am liebsten Forellen geangelt, es war das Schönste auf der Welt für mich, naja, fast.
    Mein Name ist Hig, nur ein Wort. Big Hig, wenn Sie zwei brauchen.
    Falls ich je einmal weinend aus einem Traum aufgewacht bin – und hey, ich will damit nicht sagen, dass mir das schon mal passiert ist –, dann nur, weil die Lachsfische verschwunden sind. Alle. Bachsaiblinge, Regenbogenforellen, Bachforellen, Cutthroats, Stahlkopfforellen, einfach alle.
    Der Tiger hat sich verabschiedet, der Elefant, die Menschenaffen, der Pavian, der Gepard. Die Meise, der Fregattvogel, der Pelikan (grau), der Wal (grau), die Türkentaube. Traurig, klar, aber naja. Geweint habe ich erst, als die letzte Forelle flussaufwärts geschwommen ist. Vielleicht war sie auf der Suche nach kälterem Wasser.
    Meine Frau Melissa war ein alter Hippie. Eigentlich war sie noch gar nicht so alt. Sie sah gut aus. Sie könnte die Eva in dieser Geschichte sein, aber ich bin kein Adam. Ich bin eher ein Kain. Wobei, so einen Bruder wie mich gibt es in der Bibel nicht.
    Haben Sie je die Bibel gelesen? Ich meine, haben Sie sich je hingesetzt und die Bibel gelesen, als wäre sie ein Roman? Werfen Sie mal einen Blick in die Klagelieder. So weit ist es inzwischen gekommen mit uns. Wir haben jede Menge zu beklagen. Wir schütten unser Herz aus, als wäre es voller Wasser.
    Es hat immer geheißen, nach der Klimaerwärmung wird es kalt. Sehr kalt. Ich warte bis heute drauf. Sie ist immer wieder für eine Überraschung gut, unsere liebe, alte Erde. Eine Überraschung jagt die nächste, seit Urzeiten schon, seit sie sich vom Mond getrennt hat, der sie jetzt umkreist wie ein Gänserich die erschossene Gans.
    Es gibt kaum noch Wildgänse. Nur noch ein paar. Letzten Oktober habe ich in der Dämmerung das vertraute Quaken gehört und sie gesehen, ganze fünf Stück am blutroten Himmel über dem Bergrücken. Fünf im Herbst, glaube ich, und im April dann keine mehr.
    Wenn die Sonne nicht scheint, pumpe ich das Flugbenzin per Hand aus dem alten Flughafentank ab. Außerdem gibt es noch den Tanklastwagen, der den Flughafen beliefert hat. Alles in allem mehr AvGas, als das Biest je wird verbrennen können – vorausgesetzt, ich beschränke meine Aufklärungsflüge auf die nähere Umgebung. Was ich möchte. Was ich muss. Die Maschine ist klein, eine 1956 er Cessna 182 , aber sie ist eine Schönheit. Cremeweiß und blau. Wahrscheinlich bin ich längst tot, wenn das Biest den Geist aufgibt. Am liebsten würde ich mir eine Farm kaufen. Dreißig Hektar Gras und Mais auf Schwemmland, und das in einer Gegend, wo sich ein kühler Strom voll mit Bachforellen und Cutthroats aus den lila Bergen ergießt.
    Aber vorher fliege ich Patrouille. Einmal raus und wieder zurück.
    *
    Ich habe einen Nachbarn. Einen einzigen. Es gibt nur uns beide und den kleinen Provinzflughafen in der Nähe der Rockies. Auf einem Trainingsgelände mit ein paar Wohnhäusern, gebaut für Leute, die ohne ihre kleinen Maschinen nicht einschlafen können. So wie Golfer, die auf dem Golfplatz leben. Auf dem Fahrzeugschein seines alten, längst kaputten Trucks steht: Bangley. Bruce Bangley. Ich habe den Schein aus dem Handschuhfach gefischt, als ich auf der Suche nach einem Druckmesser für das Biest war. Bruce Bangley war wohnhaft in Wheat Ridge, Colorado.
    Aber ich nenne ihn nie bei seinem Namen, wozu auch, es gibt ja nur uns beide. Nur wir zwei in einem Radius von mindestens dreizehn Kilometern, was der Distanz zwischen dem Flughafen und den ersten Wacholderbüschen am Fuß der Bergkette entspricht. Ich nenne ihn: Hey! Oberhalb der Wacholderbüsche wachsen Eichen, dann kommen die schwarzen Bäume. Na ja, eigentlich sind sie eher dunkelbraun. Von Käfern gekillt und verdorrt. Die abgestorbenen Bäume stehen noch, sie wiegen sich im Wind wie tausend Skelette und seufzen wie tausend Gespenster. Nicht überall, es gibt immer noch grüne Stellen, und ich bin ihr größter Fan. Ich jubele den Bäumen aus dem Cockpit zu: Go, go, go, grow, grow, grow! Das ist mein Kampfschrei. Ich brülle ihn aus dem Fenster, wenn ich im Tiefflug bin. Die grünen Stellen werden jedes Jahr größer. Das Leben ist ganz schön zäh, wenn man ihm nur eine kleine Chance gibt. Ich schwöre, die Bäume können mich hören. Sie winken zurück, rudern mit
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